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Wettbewerbsrecht

Klöckners „Schwarze Liste“ für den Lebensmitteleinzelhandel hat Lücken

Obst- und Gemüseabteilung in einem Supermarkt
am Donnerstag, 16.07.2020 - 11:06 (2 Kommentare)

Agrarministerin Klöckner will unlautere Praktiken des Lebensmittelhandels gemäß EU-Recht einschränken.

Agrargipfel

Beim „Agrargipfel“ im Kanzleramt im Dezember 2019 hatte Kanzlerin Merkel versprochen, die europäische Richtlinie gegen unlautere Praktiken des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) in Deutschland eins zu eins umzusetzen. Gut ein halbes Jahr später hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Referentenentwurf eines entsprechenden Gesetzes zur Stellungnahme an die Verbände verschickt.

Der Entwurf, der agrarheute vorliegt, zeigt: Klöckner will die sogenannte UTP-Richtlinie (unfair trading practices) tatsächlich buchstabengetreu umsetzen. Doch das ist zu wenig, um eine noch vor kurzem von der Ministerin als systemrelevant bezeichnete Landwirtschaft vor der Einkaufsmacht der Einzelhandelsriesen zu schützen. Und der Gesetzentwurf hat noch eine zweite, hausgemachte Schwachstelle.

Die Schwarze Liste unfairer Handelspraktiken

Getreu der EU-Richtlinie soll im künftigen „Lebensmittellieferkettengesetz“ eine Schwarze Liste von verbotenen Einzelhandelspraktiken definiert werden.

Verboten werden demnach:

  • ein Zahlungsziel von mehr als 30 Tagen nach der Lieferung für verderbliche Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnisse und
  • von mehr als 60 Tagen für andere Agrar-, Fischerei- und Lebensmittelerzeugnisse;
  • die Abbestellung von Lieferungen verderblicher Erzeugnisse weniger als 30 Tage vor dem vereinbarten Liefertermin;
  • einseitige Vertragsänderungen durch den Händler im Hinblick auf die Liefer- und Zahlungsbedingungen, Qualitätsstandards, Preise sowie Vermarktung, Listung und Lagerung;
  • eine Abwälzung von Kosten durch Qualitätsminderungen nach der Lieferung und für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden;
  • dem Käufer den geschlossenen Liefervertrag nicht schriftlich zu bestätigen, es sei denn, das Geschäft läuft über einen Erzeugerzusammenschluss;
  • eine schriftliche Schätzung über Zahlungen, Preisnachlässe und Kosten zu verweigern;
  • Geschäftsgeheimnisse der Lieferanten rechtswidrig zu erwerben oder zu nutzen;
  • dass der Käufer mit Vergeltung droht, zum Beispiel der Auslistung, wenn der Lieferant von seinem vertraglichen oder gesetzlichen Rechten Gebrauch macht, einschließlich seinem neuen Beschwerderecht bei der zuständigen Kontrollbehörde.

Die Graue Liste des gerade noch Erlaubten

Einkauf im Supermarkt

Neben dieser Schwarzen Liste legt das Gesetz eine ebenfalls im EU-Recht verankerte Graue Liste von Handelspraktiken fest. Diese Praktiken werden zwar als problematisch angesehen, dürfen aber dennoch vertraglich vereinbart werden. Ohne vertragliche Vereinbarung gelten sie allerdings ebenfalls als unlauter und somit verboten.

Auf der Grauen Liste steht zum Beispiel: 

  • die Rücksendung von nicht verkauften Erzeugnissen an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises und gegebenenfalls der Entsorgungskosten;
  • dass der Einzelhändler Geld verlangt für die Listung, Lagerung oder die Vermarktung der Erzeugnisse;
  • dass der Einzelhändler eine Übernahme der Kosten für Preisnachlässe im Rahmen von Verkaufsaktionen fordert, ohne dass die Dauer und der Umfang der Aktion festgelegt werden.

Schutz nur für Unternehmen unter 350 Millionen Euro Umsatz

Indem sich das Landwirtschaftsministerium genau an die Vorgaben der UTP-Richtlinie hält, sind die Mindeststandards nach wie vor relativ weich. Nur die härtesten Fälle des Missbrauchs von Einkaufsmacht werden per Gesetz verboten.

Anders als zum Beispiel im Umwelt-, Tier- oder Klimaschutzrecht will die Bundesregierung mit dem Lebensmittellieferkettengesetz aber nicht national draufsatteln.

Dadurch wird auch eine wesentliche Schwachstelle der Richtlinie in deutsches Recht übernommen: Geschützt werden nur Lieferanten des LEH mit weniger als 350 Mio. Euro Jahresumsatz. Das heißt, dass beispielsweise viele Molkereien oder größere Erzeugerorganisationen nicht dem Schutz durch das neue Gesetz unterstehen werden.

Die BLE soll zuständige Kontrollbehörde werden

Außerdem sieht der Referentenentwurf vor, die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als zuständige Kontrollbehörde zu benennen. Diese Absicht wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert. Nicht nur das Wirtschaftsministerium sah das Bundeskartellamt als prädestiniert für die Rolle des Kontrolleurs an. Die Wettbewerbshüter haben schließlich jahrzehntelange Erfahrung in der Missbrauchskontrolle inklusive Razzien in LEH-Zentralen.

Die BLE hingegen beschäftigt sich traditionell mit Marktordnung und Marktbeobachtung sowie als Projektträger für Förderprogramme. In das neue Aufgabengebiet werden sich die Beamten der Bundesanstalt erst einarbeiten müssen. Immerhin sieht das Gesetz eine enge Zusammenarbeit zwischen der BLE und dem Bundeskartellamt einschließlich eines Informationsaustauschs vor.

Bußgelder bis 500.000 Euro sind möglich

Zur Durchsetzung der neuen Vorschriften können Zwangsgelder bis 300.000 Euro und Bußgelder bis 500.000 Euro verhängt werden. Die Entscheidungen werden unter Nennung des Handelsunternehmens veröffentlicht. Der Bund rechnet mit weniger als zehn Beschwerden monatlich.

Ein Schwachpunkt der Beschwerderegelung: Stufenübergreifende Vereinigungen von Erzeugern wie zum Beispiel Branchenverbände sollen kein Beschwerderecht erhalten, weil es ihnen laut EU-Recht „an dem berechtigten Interesse fehlt“, Erzeuger zu vertreten.

So geht es weiter mit dem Lebensmittellieferkettengesetz

Nach der Stellungnahme der Wirtschaftsverbände, die bis zum 7. August eingehen müssen, wird die Regierung ihren Entwurf im Kabinett beschließen. Dann folgt die Beratung in Bundestag und Bundesrat. Das Gesetz ist durch den Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Es soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Das EU-Recht schreibt eine Umsetzung der UTP-Richtlinie in nationales Recht bis zum 1. Mai 2021 vor.

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