Bereits Ende April kündigte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir in einer Pressemitteilung an, die 60 Millionen € aus der Krisenhilfe in der Gemeinsamen Agrarpolitik aus nationalen Mitteln um weitere 120 Millionen aufstocken zu wollen. Er hätte gerne mehr gegeben, doch leider seien dem rechtliche Grenzen gesetzt, so der Minister. Ausbezahlt werden die Mittel als einmalige Sonderzahlung. Heldenhafter Minister mobilisiert für seine Bauern als Krisenmanagement 180 Millionen € - diesen politischen Dreh gibt das Bundeslandwirtschaftsministerium der Geschichte. Allerdings passt das hinten und vorne nicht.
Direktzahlungen werden für alle Bauern gekürzt
Die 60 Millionen € an EU-Krisenhilfe sind kein frisches Geld. Sie werden gespeist aus einer Kürzung der EU-Direktzahlungen an alle landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland. Das Geld, das den Landwirten also in die rechte Hosentasche fließt, nimmt man ihnen aus der linken Tasche heraus.
Mittel für Unfallversicherung werden gleichzeitig zusammengestrichen
Bei der zweiten Haushaltsberatung zum Etat des Bundeslandwirtschaftsministeriums Anfang Juni wurde bestätigt, dass der Bundeszuschuss zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung von 177 auf 100 Millionen € gekürzt werden wird. Landwirten droht deswegen ein bis zu 20 % höherer Beitrag. Von den 120 Millionen € nationalem Beitrag zur Krisenhilfe muss man also die 77 Millionen wieder abziehen, die als Mehrbelastung bei der Berufsgenossenschaft auf die Landwirtinnen und Landwirte zukommen. Bleiben von 180 Millionen € also netto 43 Millionen € an Hilfen in 2022 übrig.
Warum die Kürzung bei der Unfallversicherung schwerer wiegt als die Krisenhilfe
Bevor Landwirte sich freuen, dass sie dieses Jahr über die Krisenhilfe immerhin 43 Millionen zusätzlich bekommen, sollte man an die längerfristigen Auswirkungen der Kürzung des Zuschusses zur Unfallversicherung denken: Die 77 Millionen €, die das Bundeslandwirtschaftsministerium bei einspart, fallen dauerhaft weg und führen zu einem Anstieg der Beiträge zur Berufsgenossenschaft um mindestens 18 % – Jahr für Jahr. Die Krisenhilfe ist hingegen einmalig. Über eine mögliche zukünftige Bewilligung entscheidet nicht Cem Özdemir, sondern die Europäische Kommission. Sie hat die Krisenhilfe dieses Jahr zum ersten Mal überhaupt wegen dem Ukraine-Krieg mobilisiert. Wenn wir davon ausgehen, dass die Ampel-Koalition vier Jahre an der Macht bleibt, kostet die Kürzung bei der Unfallversicherung die Landwirte also insgesamt 308 Millionen €.
Warum Cem Özdemir helfen könnte, wenn er wollte
Nicht ganz richtig ist es schließlich, wenn Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir sagt, dass mehr Hilfen rechtliche Grenzen gesetzt seien. Bei der Krisenhilfe ist das der Fall. Doch als Teil der Corona-Hilfen war der Haushalt seines Ministeriums im vergangenen über 500 Millionen € größer als im Vorjahr. Der Agrarhaushalt 2022 muss viele Krisen mit weniger Geld bewältigen. Mehr wäre gegangen, wenn man denn gewollt hätte. Auch die EU-Kommission sähe zusätzliche Hilfsmöglichkeiten über einzelstaatliche Beihilfen vor. Doch wer keine Erlaubnis dafür beantragt, weil er nichts ausgeben will, der kann seinen Landwirten auch nicht helfen. Da kann Özdemir sich noch so sehr als Anwalt der Landwirte gerieren: Polnische Bauern bekommen Sonderhilfen, die deutschen Bauern versagt bleiben - nicht, weil das in Deutschland nicht ginge, sondern weil bei uns kein politisches Interesse besteht.
Wofür im Agrarhaushalt 2022 Geld da ist
Wo im Bundeslandwirtschaftsministerium politischer Wille zu helfen ist, zeigte sich in der zweiten Haushaltsberatung im Bundestag Anfang Juni durchaus: Mit 5 Millionen € sollen deutsche Tierheime unterstützt werden, um die Tiere von ukrainischen Geflüchteten zu versorgen.
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