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Klimaschutz und Landwirtschaft

Land- und Forstwirtschaft in der EU sollen klimaneutral werden

Fit for 55 Klimaschutz Landwirtschaft
am Mittwoch, 14.07.2021 - 15:10 (12 Kommentare)

Die Landnutzung in der EU soll bis 2035 klimaneutral werden. Dazu hat die EU-Kommission heute (14.7.) das Paket „Fit for 55“ vorgelegt. Das Klimaschutzpaket besteht aus zwölf Verordnungen und Richtlinien. Auf die Land- und Forstwirtschaft kommen erhebliche Umwälzungen zu.

EU-Kommission

Starkregen, Dürre, Hitzewellen und neue Schädlinge: Der Klimawandel bedroht auch die Land- und Forstwirtschaft. Die EU-Staaten sind sich einig, dass der Klimawandel möglichst schnell gestoppt werden muss. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent sinken – bevor die EU dann 2050 klimaneutral sein soll. Das schreibt das EU-Klimagesetz vor, das im Juli in Kraft tritt.

Am heutigen Mittwoch hat die EU-Kommission nun unter Vorsitz von Ursula von der Leyen  ihr Paket „Fit for 55“ vorgestellt, mit dem das 55-Prozent-Ziel bis 2030 erreicht werden soll. Auch wenn die Vorschläge noch von den EU-Staaten und vom Europaparlament geändert werden können, zeichnen sich doch beträchtliche Auswirkungen auf die Land- und Forstwirtschaft ab. Unter anderem werden den Mitgliedstaaten mit einer neuen EU-Lastenverteilungsverordnung strengere Emissionsreduktionsziele zugewiesen, auch für die Landwirtschaft.

Mitgliedstaaten sollen Emissionssenken nachweisen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Teil des „Fit for 55“-Pakets ist auch eine Anpassung der EU-Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forst (LULUCF). Ab 2035 sollen Land- und Forstwirtschaft und andere Formen der Landnutzung als gemeinsamer Landnutzungssektor (AFOLU: Agriculture, Forestry and Other Land Use) klimaneutral sein und danach sogar negative Emissionen aufweisen. Einbezogen werden auch Nicht-CO2-Emissionen, also zum Beispiel Methan aus der Tierhaltung. Im Rahmen einer EU-Waldstrategie sollen bis 2030 in Europa zudem drei Milliarden Bäume gepflanzt werden.

In der Union sollen ab 2026 Kohlenstoffsenken von 310 Mio. t CO2-Äquivalent geschaffen werden. Für Deutschland würde dies wohl ein Senkenziel von etwa 25 Mio. t Kohlendioxid jährlich bedeuten. Die Bundesregierung soll dazu einen Minderungsplan für den Landnutzungssektor vorlegen. Insbesondere ab 2026 sind signifikante Einschnitte durch die nationalen Minderungsziele zu erwarten.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) hält dieses Senkenziel unter Verweis auf Experten für unrealistisch. Der deutsche Wald werde aufgrund von Klimaschäden und Altersstruktureffekten nach 2025 keine große Senke mehr bilden, so der DBV.

CO2-Grenzausgleich für Stickstoffdünger

Klar ist, dass mehr Klimaschutz für die Wirtschaft in der EU teuer wird. Darum ist der sogenannte „CO2-Grenzausgleichsmechanismus“ (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) ein zentrales Element des Klimapakets. Die EU-Kommission will so dafür sorgen, dass vergleichsweise klimaschädlich produzierte Produkte aus Drittstaaten in der EU künftig keinen Wettbewerbsvorteil mehr haben. Dazu wird für fünf energieintensive Produkte eine sogenannte CO2-Grenzabgabe eingeführt. Eines der Produkte ist Stickstoffdünger.

Der Grund: Die Herstellung von Mineraldünger innerhalb der EU unterliegt dem Emissionshandel. Im Rahmen des Grenzausgleichs sollen für importierten Stickstoffdünger Zertifikate zum jeweiligen Preis des Treibhausgasemissions-Handels erworben werden müssen. Das sind derzeit etwa 50 Euro/t CO2. Der Grenzausgleich soll verhindern, dass die Produktion von Stickstoffdünger aus der EU abwandert und damit ein sogenanntes Carbon Leakage stattfindet, die klimaschädliche Erzeugung also einfach ihren Standort verlagert.

Bauernverband fordert Grenzausgleich auch für Agrarimporte

Ähnlich diesem Grenzausgleich für energieintensive Produkte fordert DBV-Präsident Joachim Rukwied einen Klimaschutz-Grenzausgleich auch für Agrarimporte. „Die EU muss ein geeignetes Verfahren einführen, um eine Abwanderung der landwirtschaftlichen Erzeugung aus der EU, einen sogenannten Leakage-Effekt, zu verhindern“, verlangte Rukwied. Durch die Einbeziehung von Stickstoffdünger in den CO2-Grenzausgleich könnten sich Düngemittel in der EU verteuern, fürchtet der Verbandspräsident. Ein besserer Schutz der heimischen Landwirtschaft im internationalen Wettbewerb sei nötig, um die Klimaziele zu erreichen.

Allerdings gilt die Einführung des Grenzausgleichsmechanismus ohnehin als heikel. Das liegt daran, dass er eventuell nur dann mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbar ist, wenn Unternehmen in der EU keine kostenlosen Verschmutzungszertifikate mehr bekommen. Dies wiederum würde bedeuten, dass energieintensive Branchen zwar auf dem Binnenmarkt gegen unfaire Konkurrenz geschützt wären, nicht aber auf dem Weltmarkt.

Steuervergünstigung für Agrardiesel in Gefahr

Die EU-Richtlinie über die Energiebesteuerung aus dem Jahr 2003 soll durch "Fit for 55" ebenfalls angepasst werden. Die Kommission schlägt vor, Brennstoffe nach ihrem Energiegehalt und ihren Umweltwirkungen zu besteuern statt nach der Menge. In diesem Zusammenhang sollen „überholte Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze abgeschafft werden, die zurzeit die Nutzung fossiler Brennstoffe fördern". Experten befürchten, dass damit auch die Steuervergünstigung für Agrardiesel von Brüssel in Frage gestellt werden könnte. Allerdings will die Kommission ermäßigte Steuersätze für die Landwirtschaft offenbar weiter zulassen.

Konkret schlägt die Kommission für fossile Kraftstoffe grundsätzlich einen Mindeststeuersatz von 10,75 Euro/Gigajoule vor. Auf nachhaltige, aber nicht fortgeschrittene Biokraftstoffe soll der halbe Mindestsatz angewendet werden. Für fortschrittliche nachhaltige Biokraftstoffe und Biogas soll die Mindeststeuer 0,15 Euro/Gigajoule betragen.

Ein neuer Klima-Sozialfonds soll die Kosten der EU-Klimapolitik für sozial schwache Haushalte und Kleinunternehmen abfedern. In diesen Fonds soll ein Teil der Einnahmen der EU aus dem Emissionshandel fließen, insgesamt voraussichtlich 72,2 Mrd. Euro für die Jahre 2025 bis 2032. Die Mitgliedstaaten sollen diesen Fonds um Mittel in derselben Höhe aufstocken auf 144,4 Mrd. Euro.

Höherer Zielwert für erneuerbare Energien

Das Klimapaket enthält schließlich auch Änderungen der EU-Richtlinien für erneuerbare Energien (RED), Energieeffizienz (EED) und Gebäude (EPBD). Die Kommission schlägt vor, den Zielwert für den Anteil der erneuerbaren Energien von 32 Prozent auf 40 Prozent für das Jahr 2030 anzuheben. Zugleich werden die Nachhaltigkeitskriterien für die Nutzung von Bioenergie strenger geregelt. Die Mitgliedstaaten müssen die Förderung von Bioenergie so gestalten, dass der Grundsatz der Kaskadennutzung für Holzbiomasse gewahrt wird.

Emissionshandel wird ausgedehnt, Aus für Verbrenner ab 2035

Das sind weitere Elemente des Fit for 55-Pakets:

  • Das Emissionshandelssystem (EU-ETS) wird ausgeweitet. Die Menge der verfügbaren und der kostenlos abgegebenen Verschmutzungszertifikate wird stärker reduziert. Die kostenlosen Emissionszertifikate für den Luftverkehr werden schrittweise abgeschafft und die Schifffahrt wird in das System einbezogen.
  • Für den Straßenverkehr und den Gebäudesektor wird eine separates Emissionshandelssystem für die Treib- und Brennstoffversorgung in diesen Sektoren eingeführt.
  • Der CO2-Ausstoß von Neuwagen soll 2030 im Schnitt um 55 Prozent niedriger sein als 2021. Bisher beträgt das Ziel 37,5 Prozent. Ab 2035 sollen alle Neuwagen emissionsfrei sein.
  • Die Mitgliedstaaten sollen entlang großer Verkehrstrassen alle 60 km Ladestationen für E-Autos und alle 150 km für die Betankung mit Wasserstoff aufbauen.
Mit Material von dpa
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