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Zukunft der Nutztierhaltung

Landwirte fürchten nach Aus der Borchert-Kommission um ihre Betriebe

Eine Landwirtin lässt Schweine in den Auslauf
am Mittwoch, 23.08.2023 - 14:00 (41 Kommentare)

Die Borchert-Kommission gibt auf. Die Regierung ist zum Handeln nicht zu bewegen. So reagieren Landwirte auf das Aus.

Wut, Frust und Enttäuschung – die Emotionen kochen hoch bei den Landwirten, nachdem das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung gestern (22.8.) erklärte, seine Arbeit zu beenden. Viele Tierhalter äußern sich in den sozialen Netzen resigniert. 

Weil die Politik die Handlungsempfehlungen der Experten für einen tierwohlgerechten Umbau der Tierhaltung, die seit Februar 2020 auf dem Tisch liegen, trotz jahrelanger Debatten nicht umsetzt, fürchten viele Landwirte, dass die Tierhaltung in Deutschland keine Perspektive mehr hat.

Darum stellt die Borchert-Kommission die Arbeit ein

Jochen Borchert

Das Kompetenznetzwerk hatte gestern in einer Erklärung festgestellt, dass weder unter der vorherigen schwarz-roten Bundesregierung noch in den ersten zwei Jahren der Ampel-Koalition die politischen Voraussetzungen geschaffen worden seien, die Empfehlungen der Borchert-Kommission erfolgreich umzusetzen. Auch der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 lasse den notwendigen Durchbruch nicht erkennen. 

Kern der Empfehlungen des Kompetenznetzwerks ist bekanntlich die Einführung langfristig gesicherter Tierwohlprämien zur Unterstützung einer schrittweisen Anhebung des Tierwohlniveaus. Die Kommission hält dies weiterhin für machbar und dringend erforderlich. Es sei eine Frage des politischen Gestaltungswillens, entsprechende Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.

Minister Özdemir will Ziele der Borchert-Kommission erreichen

Das Experten-Netzwerk verwies mit seiner Abschlusserklärung auf die Verantwortung der Bundesregierung und des Gesetzgebers, das von ihm vorgelegte Konzept in der Praxis umzusetzen. 

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir beteuerte, er sei entschlossen, den Weg fortzusetzen und die Ziele der Borchert-Kommission Schritt für Schritt zu erreichen. Özdemir dankte allen Mitgliedern des Kompetenznetzwerks für ihre Arbeit und ganz besonders Jochen Borchert für dessen großes persönliches und erfolgreiches Engagement.

Die Ampel steht auf Rot wegen Desinteresse und Finanzblockade

Dass das Kompetenznetzwerk aus Vertretern der Bundesländer, der Wissenschaft, der landwirtschaftlichen Praxis, der Agrar-, Wirtschafts- und Umweltverbände seine Zusammenarbeit nun beendet, löste eine Welle kritischer Reaktionen aus. 

Die Kritik richtete sich vor allem gegen Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Der zentrale Vorwurf: In der Ampel-Koalition hätten Grüne und SPD kein wirkliches Interesse an der Unterstützung der Landwirte beim Umbau der Tierhaltung und die FDP blockiere die Finanzierung. Wir haben einige der Reaktionen für Sie zusammengefasst.

Was halten Sie davon, dass die Borchert-Kommission ihre Arbeit beendet?

Das finde ich richtig. Die Experten-Kommission hat ihre Arbeit gut gemacht. Die Politik hätte längst handeln müssen.
31% (367 Stimmen)
Das war ein Fehler. Es wäre wichtig gewesen, dass das Kompetenznetzwerk mit seinen Handlungsempfehlungen weiter Druck auf die Politik ausübt.
17% (203 Stimmen)
Das macht keinen Unterschied: Die Regierung wird sowieso keine Tierwohlprämien einführen.
49% (574 Stimmen)
Ich weiß nicht.
3% (34 Stimmen)
Stimmen gesamt: 1178

Die Zukunft der Tierhaltung liegt im Nebel

So äußern sich Landwirte und Agrarblogger in den sozialen Netzwerken.

  • Bernhard Barkmann, Landwirt aus dem Emsland, auf X (Twitter): „Wirklich ernüchternd. Wenig überraschend. Zukunft? Im Nebel.“ 
  • Willi Kremer-Schilling aka Bauer Willi in seinem Blog: „Wir Landwirte müssen {...} konstatieren, dass bisher und auch aktuell keine Partei willens und in der Lage ist, den deutschen Nutztierhaltern eine Perspektive zu bieten.“ 
  • Landwirt „Schulz-Online“ auf X: „Traurig.“ 
  • Eckart Grünhagen, Landwirt aus Uelzen, auf X: „Gäbe es einen gesellschaftlichen Konsens, gäbe es auch eine wirtschaftliche Perspektive für tierhaltende Betriebe. Der Verbraucher, der LEH, … sind nicht bereit für die Zusatzkosten einer Tierhaltung in höheren Haltungsstufen aufzukommen.“ 
  • Landwirt „Kempersbuur“ aus dem Sauerland auf X: „Die Expertenkommission für den Umbau der Tierhaltung gibt aufgrund der Untätigkeit des Ministeriums auf. Was für eine Ohrfeige für Minister Cem Özdemir.“ 
  • Birgit E. auf Facebook: „Warum glaubt man eigentlich immer noch, dass es Ziel sei, Mechanismen zu finden, die hiesigen Landwirte retten? Sämtliche Zeichen der letzten Dekade sprechen eine komplett gegenteilige Sprache!“

Agrarverbände fordern beim Tierwohl mehr Bewegung von der Bundesregierung

Vertreter der Agrarverbände sprechen von einem Armutszeugnis für die Bundesregierung.

  • Hubertus Beringmeier, Veredelungspräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV): „Die Entscheidung zur Auflösung des Gremiums bedauere ich sehr, obgleich ich diesen Schritt nachvollziehen kann. Insbesondere die Frage der Finanzierung ist bis heute ungeklärt – besonders der Koalitionspartner FDP muss sich hier bewegen!“ 
  • Franz-Josef Holzenkamp, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) und Mitglied der Borchert-Kommission: „Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung hat seinen Auftrag erfüllt. Der Ampelregierung aber fehlt die Entschlossenheit zur Transformation der Nutztierhaltung.“ 
  • ISN-Geschäftsführer Torsten Staack: „Dass die Borchert-Kommission sich gezwungen sah, ihre Brocken hinzuwerfen, ist bitter. Für die Bundesregierung ist das ein Armutszeugnis, daran ändert auch Minister Özdemir mit seiner abschließenden Lobhudelei nichts. Der Wille der Bundesregierung, zu echten Lösungen im Sinne der betroffenen Wirtschaft, vor allem der Schweinehalter, zu kommen, fehlt unter dieser Bundesregierung von Anfang an.“ 
  • Sven Guericke, Vorstandsvorsitzende des Agrar- und Ernährungsforums (AEF): „Das ist zweifelsohne ein Armutszeugnis sowohl für die jetzige Bundesregierung als auch für die Vorgängerregierung.“

Ein Haltungskennzeichen ist noch keine Strategie

Der BUND hält die Selbstauflösung für einen Fehler.

  • Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Mitglied der Borchert-Kommission: „Die Auflösung ist ein falscher Schritt. Die Kommission hat sich ihrer Möglichkeiten zur Einflussnahme selbst beraubt. Als Kommission wären wir es den kommenden Generationen und den tierhaltenden Betrieben schuldig weiterzuarbeiten.“ 
  • Der Deutsche Tierschutzbund: „Die Bundesregierung ist mehr denn je gefordert, endlich eine verlässliche und nachhaltige Strategie für den Umbau der Tierhaltung vorzulegen. Dass eine solche Strategie bisher fehlt, ist mindestens fahrlässig und ignorant – insbesondere von der FDP, die offenbar bei den notwendigen Fördergeldern blockiert. Aber das gilt auch für die SPD und die Grünen, denn ein Tierhaltungskennzeichen allein ist noch lange keine Strategie.“

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