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Thementag Biodiversität

Mehr Biodiversität schaffen: Neue GAP hilft den Landwirten nicht

Thementag Biodiversität
am Dienstag, 10.05.2022 - 18:00 (1 Kommentar)

Landwirte fordern einen klaren Fahrplan, um bei der Biodiversität loslegen zu können. Wie die Artenvielfalt auf den Flächen effizient gefördert werden kann, diskutierten Vertreter aus der Agrarbranche, dem Naturschutz und der Politik gestern (09.05.) im brandenburgischen Nauen.

Einig waren sich die Akteure, die sich gestern zahlreich auf dem westlich von Berlin gelegenen Betriebsgelände der Agro-Farm zum Thementag Biodiversität versammelten, über das Problem beim Voranbringen der Biodiversitätsziele: Während es an Forschungsergebnissen, Diskussion und auch an bürokratischen Strukturen nicht mangelt, lässt ein Honorierungssystem für Landwirte noch immer auf sich warten. Die Biodiversität auf den Flächen zu fördern, schadet derzeit dem Geldbeutel der meisten Landwirte und nicht zuletzt der Freude an ihrer Arbeit.

In einem neuen Diskussionspapier schlägt der Industrieverband Agrar (IVA) vor, wie dieser Zustand durchbrochen werden kann. Die Gäste auf dem Podium der Agro-Farm in Nauen waren sich einig: Für mehr Artenvielfalt muss nicht unbedingt tiefer in die Tasche gegriffen werden.

Biodiversität für 900 Mio. Euro im Jahr

IVA-Wissenschaftler Jörg Müller stellte das Diskussionspapier vor und benannte Pflanzenschutz und Düngung, Biodiversitätsmaßnahmen, die Landschaftsstruktur und vorhandene Biodiversitätsflächen wie Wegränder, Verkehrsinseln oder Bahndämme („Eh da-Flächen“) als Handlungsfelder für landwirtschaftliche Betriebe, Pflanzenschutz- und Düngemittelhersteller und Politik.

Sowohl die Biodiversitätsförderung als auch die Produktion müssten effizient sein, so Müller. Auf den naturnahen Flächen sollten wirksame Maßnahmen umgesetzt werden. Empfohlen werde – übereinstimmend mit den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) – ein Anteil von 10 Prozent naturnaher Flächen in der Normallandschaft. Diese würden sich aus 2,5 Prozent Gewässerrandstreifen, 3 Prozent Eh-da-Flächen, 1 Prozent Brachen und 3,5 Prozent zusätzlicher Maßnahmen zusammensetzen.

Etwa 900 Mio. Euro würde die Finanzierung des Konzepts laut Müller jährlich kosten. Im Vergleich dazu sei für die Teilnahme an den Eco-Schemes ein Betrag von 1 Mrd. Euro veranschlagt worden. Müller erinnerte daran, dass es noch immer für 26 Prozent der FFH-Gebiete und für 51 Prozent der Vogelschutzgebiete keinen Managementplan gebe – hier bestehe noch Handlungsbedarf.

Die Fläche sei knapp und deshalb müssen auf ihr möglichst viele Ziele erreicht werden, so Müller. Dazu sieht das Diskussionspapier die Nutzung des technischen Fortschritts und den Ausbau der Biodiversitätsberatung vor.

Kein Fortschritt trotz Einigkeit

Unter den Diskussionsteilnehmern herrschte Einigkeit in der Notwendigkeit von Biodiversitätsmaßnahmen. Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) und Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), betonten, dass es keine großen Dissense mehr gebe und die Diskussion Fortschritte gebracht habe. Für ihren Aufwand müssten Landwirte einen Nutzen haben, der sich in einer entsprechenden Honorierung widerspiegelt.

Doch nicht alle Landwirte seien von den Ergebnissen der ZKL überzeugt, ergänzte Werner Schwarz, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Sie seien noch nicht ins Boot geholt worden, weil im Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) beziehungsweise in der Regierung Fortschritte fehlten. „Es läuft vor sich her“, so Schwarz. Dabei könnten einige Maßnahmen ohne viel Geld umgesetzt werden.

Auch IVA-Präsident Michael Wagner machte deutlich, dass sich das Thema Biodiversität nicht mehr in der Theoriephase befinde, die Landwirte aber trotzdem unruhig seien. Die politischen Rahmenbedingungen müssten ein flexibles Agieren ermöglichen, sagte Wagner.

Unattraktive Eco-Schemes fördern Biodiversität nicht

Den Eco-Schemes ab 2023 wurde von den Diskussionsteilnehmern kein gutes Zeugnis ausgestellt. Schwarz merkte an, dass hinter den Öko-Regelungen kein gutes Anreizsystem für die Landwirte stecke. Als Vertreter des Naturschutzes betrachtete auch Krüger die Honorierung der Eco-Schemes mit Sorge. DLG-Präsident Paetow sprach sich für eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und für zielgerichtete Biodiversitätsmaßnahmen aus. Weil das vorhandene Budget breit verteilt sei, ginge der Fokus verloren. Anstatt zehn reichten vier Eco-Schemes. Zum Bürokratieabbau kommentierte Paetow: „Da muss jemand mit der Machete durch.“

Der Kritik kaum widersprechen konnten die politischen Entscheidungsträger der Diskussionsrunde. Ludwig Theuvsen, Staatssekretär beim Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium, bezeichnete den streng hierarchischen Ansatz in der Verwaltung und das Übermaß an Bürokratie als schwierig. Theuvsen sprach sich ebenfalls für eine Reform der GAP aus. Für die Landwirte müsse der Spaßfaktor erhalten bleiben und vieles passe in der GAP ab 2023 noch nicht zusammen.

Eco-Schemes sind nicht die Lösung – aber vorerst nicht mehr zu ändern

Bernt Farcke, Abteilungsleiter im BMEL, gestand ein, dass 1 Mrd. Euro für die zehn Maßnahmen der Eco-Schemes wenig Geld sei. Änderungen am GAP-Strategieplan könnten jedoch erst im nächsten Jahr erfolgen. Sie wären dann ab 2024 gültig. Wie Farcke erklärte, sei es der neuen Regierung zu gefährlich gewesen, die Regeln der GAP noch einmal umzukrempeln. Er wies auf die Erhöhung der Mittel der zweiten Säule ab nächstem Jahr hin. Außerdem hoffte Farcke, dass nicht nur die Eco-Schemes mit den höchsten Prämien genutzt werden, sondern auch die übrigen attraktiv sind – wenigstens für einige Betriebe. „Im nächsten Jahr sind wir hoffentlich ein Stück weiter. Wir schauen, dass wir das ans Laufen kriegen, dann schaffen wir das auch“, sagte Farcke zu Werner Schwarz, der der Regierung vorwarf, die Empfehlungen der ZKL bisher liegen gelassen zu haben.

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