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Interview

Warum Naturland-Präsident Heigl einen Neustart der Agrarpolitik will

Feldlerche im Weizenfeld
am Dienstag, 09.06.2020 - 10:00 (Jetzt kommentieren)

Dass die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nicht zum 1. Januar 2021 in Kraft treten wird, ist so gut wie sicher. Hubert Heigl, Präsident von Naturland e.V., ist dafür, die Reform komplett zu streichen und sich auf einen Neustart der GAP 2027 zu konzentrieren.

Heigl Hubert-Naturland

Hubert Heigl ist Präsident des Anbau­verbands Naturland e.V. und bewirtschaftet gemeinsam mit seiner ­Frau einen ökologischen Betrieb mit Sauenhaltung und Ackerbau in Bayern. Er plädiert für eine Streichung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Im Exklusiv-Interview mit agrarheute erklärt er seine Forderung.

Herr Heigl, dass die Reform der GAP nicht zum 1.Januar 2021 in Kraft treten wird, ist so gut wie sicher. Eine Verschiebung um ein bis zwei Jahre birgt jedoch neue Herausforderungen. Mittlerweile wird sogar ein Start erst 2024 diskutiert. Was halten Sie von der geplanten Verschiebung?

Schon vor Corona war den meisten klar, dass ein Start zum 1. Januar 2021 nicht zu schaffen ist. Aufgrund der Krise, ausgelöst durch SARS-COV2, ist klar, dass eher mit drei als mit zwei Übergangsjahren zu rechnen ist, wenn nicht sogar mit vier. Momentan fokussiert sich Europa darauf, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in Grenzen zu halten. Gleichzeitig bleiben die großen Herausforderungen unserer Zeit – Klima- und Umweltschutz, Artenschwund und Tierwohlproblematik – ja bestehen. 
Es ist in dieser Situation nicht sinnvoll, weiter an einem Reformpaket herumzuschrauben, das heute schon überholt ist. Das hieße lediglich, alten Wein in neue Schläuche zu füllen! 

Also verschieben auf 2023? 

Angesichts der aktuellen Geschehnisse brauchen die Bauern ein Signal der Verlässlichkeit, Stabilität und Kontinuität. Jetzt eine Diskussion fortzuführen und eine in Teilen neue Verwaltungs- und Fördersystematik zu implementieren, die dann nur eine begrenzte Restlaufzeit hätte, halte ich für eine fahrlässige Verschwendung von Ressourcen.

Mein Vorschlag ist deshalb, die bestehende GAP um den gesamten Zeitraum des kommenden europäischen Finanzrahmens, also bis 2027, zu verlängern. Dabei sind substanzielle Verbesserungen an den erkannten Schwachstellen nötig, insbesondere hinsichtlich der Umweltleistung. 

Welche wären das? 

Ganz klar muss beim Greening nachgesteuert werden. Der Fokus muss dabei auf Wirksamkeit beim Arten- und Ressourcenschutz liegen. So stellt eine Anbaudiversifizierung noch lange keine Fruchtfolge dar. Es könnte ferner vorgesehen werden, innerhalb des Greenings einen Teil der betrieblichen Flächen gezielt zur Erhöhung der Artenvielfalt zu nutzen – beispielsweise in Form von Blühflächen, Äckern mit einer geringen Saatdichte, einer extensiven Grünlandnutzung oder durch eine besonders extensive Beweidung. Klar ist auch, dass erbrachte Umweltleistungen besser honoriert werden müssen.

"Umschichtung von der 1. in die 2. Säule notwendig"

Wie wollen Sie das finanzieren?

Die Umschichtung von Mitteln der ersten in die zweite Säule sollte mittels eines Stufenplans in Deutschland deutlich erhöht werden. Dies ist unter anderem notwendig, um die Ausbauziele des ökologischen Landbaus nicht zu gefährden. 

Diese Mittel müssen zweckgebunden in der Landwirtschaft bleiben. Wenn sich Bund und Länder dann noch darauf verständigen könnten, diese EU-Mittel freiwillig zu verdoppeln, wäre das ein starkes Signal für mehr Arten- und Ressourcenschutz und für eine bäuerliche Landwirtschaft. 

Sie würden also die Gap‐Reform einfach ausfallen lassen? 

Wir brauchen einen echten Neustart der GAP und dafür brauchen wir Zeit und einen gesellschaftlichen Dialog. Die erhalten wir, indem wir die aktuelle GAP substanziell verbessert bis 2027 fortführen. Gleichzeitig müssen wir die Zeit bis dahin nutzen, um über die Ausgestaltung der GAP für die Zeit danach umfassend zu diskutieren. Fest steht für mich: Wir brauchen eine andere GAP! 

Wie sollte die aussehen?

Sie sollte regionale Kreisläufe fördern und den bäuerlich geprägten Betrieb in den Mittelpunkt stellen. Eine Agrarpolitik, die neben der Lebensmittelerzeugung die Honorierung erbrachter Gemeinwohlleistungen und nicht die Produktion günstiger Rohstoffe für Industrie und Handel in den Fokus nimmt. 

Der Dreiklang aus Ökonomie, Ökologie und gesellschaftlicher Akzeptanz stellt dabei für mich das Grundgerüst dar, um das herum sich eine neue GAP entwickeln kann. Dafür unumgänglich ist die Entwicklung eines von den Bedürfnissen der Gesellschaft getragen Zielbilds, wie die europäische Landwirtschaft aussehen soll. Dazu ist der Start entsprechender Dialogprozesse notwendig. 

Wir Landwirte denken in Zeiträumen von 20 Jahren und mehr. Wenn die Rahmenbedingungen verlässlich gesetzt sind und die nötige Sicherheit bieten, werden die Betriebe auch die notwendigen Schritte hin zu mehr Ökologie gehen.

"Farm-to-Fork und Biodiversitätsstrategie gehen in die richtige Richtung"

Was halten Sie von der gerade beschlossenen Farm‐to‐Fork‐ und der Biodiversitätsstrategie? 

Meines Erachtens liegen mit der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie – eingebettet in den „European Green Deal“ – zum ersten Mal in der Geschichte der EU ambitionierte Vorschläge auf dem Tisch für den Weg hin zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft sowie zur EU-Klimaneutralität bis 2050. Die im Moment vorliegenden Reformvorschläge zur GAP sind weder geeignet, die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie noch die der Biodiversitätsstrategie zu erreichen.

Aktuell machen weder die EU-Kommission noch die Mitgliedsstaaten Anstalten, die Entwürfe zur GAP an die neuen strategischen Ziele anzupassen. In Deutschland wird die Diskussion viel mehr durch die Verwaltung dominiert, dabei geht es weniger darum, ob hier ein Mehrwert für die Umwelt und die Landwirte entsteht, sondern wie das Reformpaket am Ende verwaltet werden kann. Wenn Europa die Farm-to-Fork-Strategie und seine eigenen Biodiversitätsziele selbst ernst nimmt, müssen die politischen Instrumente entsprechend angepasst werden. 

Was schlagen Sie vor? 

Es gilt jetzt, diese politischen Absichtserklärungen in den vorher beschriebenen Dreiklang einzubinden. Das kann und sollte die Basis der zukünftigen GAP sein. Hier geht meines Erachtens Qualität vor Schnelligkeit! Deswegen der zu Beginn vorgeschlagene Weg bis 2027. 

"Großes Potenzial für ökologisch erzeugte Lebensmittel"

25 Prozent Ökofläche bis 2030 – haben Sie keine Angst, dass die Erzeugerpreise darunter leiden? 

Wenn die aktuelle Krise eines gezeigt hat, dann dass die Menschen regional-ökologische Lebensmittel sehr schätzen. Wir hatten aber auch schon die Jahre vorher eine sehr erfreuliche Nachfrageentwicklung bei ökologischen Lebensmitteln – bei weitgehend stabilen Erzeugerpreisen. Es war und ist immer Ziel bei Naturland, die Umstellung von Betrieben parallel zum Markt zu entwickeln. Ich bin mir sicher, dass bei der Erschließung neuer Märkte, wie zum Beispiel der Außer-Haus-Verpflegung, noch großes Potenzial schlummert. 

Die Ziele der Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie können nur erreicht werden, wenn ein entsprechendes Bewusstsein bei der Bevölkerung geschaffen wird. 25 Prozent Ökoanbaufläche ist kein Muss für alle Mitgliedsstaaten bis 2030, sondern eine Zielvorgabe, die mit politischen Rahmenbedingungen unterfüttert werden muss. 

"Europa braucht einen Außenschutz"

Welche könnten das sein? 

Hier sind wir wieder bei der neuen GAP! Indem man öffentliche Leistungen für Klima-, Umweltschutz und Tierwohl entsprechend honoriert, werden die damit einhergehend erzeugten Lebensmittel konkurrenzfähiger. Auch externalisierte Kosten finden sich im derzeitigen System nicht in den Preisen für Lebensmittel wieder. Über die Verteuerung von Stickstoff und Pflanzenschutzmitteln könnte ebenfalls steuernd eingegriffen werden. Zum Dritten muss über ein geeignetes Ordnungsrecht eine einheitliche Basis geschaffen werden. 

Diese Maßnahmen können jedoch nur greifen, wenn sich Europa einen sozial-ökologischen Außenschutz gibt. Europäische Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität sind hohe Güter – dass hat uns die Corona-Krise eindrücklich vor Augen geführt. Ohne einen derartigen Außenschutz ist eine sozial-ökologische Landwirtschaft nur sehr schwer in der Breite zu etablieren.

Gilt das für alle Länder in der EU? Gerade die südlichen Länder haben gerade extrem mit den Auswirkungen der Corona‐Krise zu kämpfen… 

Ob jedes Land die 25 Prozent Ökolandbau bis 2030 erreichen kann, ist nicht entscheidend. Einzelne Länder werden schneller vorankommen, andere brauchen länger. Auch in den Ländern Südeuropas wird die Bereitschaft wachsen, auf Ökolandbau umzustellen, davon bin ich überzeugt. Denn gerade für die Low‐Input‐Systeme Südeuropas hat der Ökolandbau ja einiges zu bieten. 

Natürlich stehen diese Länder jetzt da und sagen: Mir brechen gerade die Märkte weg und ihr kommt mit der Ökologisierung der Landwirtschaft. Doch eben für diese Länder müssen wir nun Verlässlichkeit und Sicherheit schaffen. Trotzdem müssen wir den Weg weitergehen in Richtung Ökologisierung. Und mal ehrlich: 25 Prozent Ökofläche heißt ja immer noch 75 Prozent konventionell bewirtschaftete Fläche. Konventionell, aber hoffentlich auch in einer ökologischeren Ausrichtung. Und auch hier müssen sich die Preise erhöhen, um die zusätzlichen Leistungen für Klima und Umwelt zu honorieren. Denn wir brauchen diese restlichen 75 Prozent, um unsere Ziele zu erreichen für Klima und Umwelt. 

Was halten Sie vom neuen MFR‐Vorschlag der Kommission?

Die vorgeschlagene Steigerung zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2018 von 24 Mrd. Euro, wovon 20 Mrd. Euro auf die Säule 2 entfallen, ist grundsätzlich ein erfreuliches Signal. Allerdings steht damit immer noch weniger Geld als in der gegenwärtigen Finanzperiode zur Verfügung. Angesichts der ambitionierten Farm-to-Fork- und der Biodiversitätsstrategie müsste hier eigentlich mehr investiert werden.

Nun kommt es auf die Umsetzung an, damit das eingesetzte Geld auch seine steuernde Wirkung entfalten kann und nicht in überkommenen agrarindustriellen Strukturen versickert. 

"Ich setze große Hoffnungen in die neue EU-Kommission und in Agrarkommissar Janusz Wojciechowski"

Wer aus der Branche unterstützt Ihre Forderung, die GAP‐Reform auszusetzen? 

Ich gebe zu, etwas abzubrechen, das schon über Jahre diskutiert wird, ist eher unüblich. Ich habe schon mit vielen Menschen über meine Idee gesprochen. Viele finden den Ansatz richtig, ohne sich jedoch öffentlich positionieren zu wollen. Die Angst, sich aus dem laufenden Prozess auszuklinken, und die Sorge davor, dass kein wirklich neuer in Gang kommt, ist zu groß. 

Ich sehe das so: Wenn sie in eine Sackgasse abgebogen sind, werden sie auch umkehren, sobald sich die erste Gelegenheit dazu ergibt. Nur die wenigsten werden bis ans Ende fahren – auf die Gefahr hin, dass die Energie für den Rückweg nicht mehr reicht. 

Große Hoffnung setze ich in die neue EU-Kommission und vor allem in Agrarkommissar Janusz Wojciechowski. Ich glaube, wir müssen ihm die Chance geben, seine Strategien umzusetzen und sich von dem Hogan-Reformpaket 2018 zu lösen. Mit einem grundlegenden Neuanfang besteht die Chance auf einen echten „European Green Deal“, mit der GAP als zentrales Instrument zur Umsetzung. 

"Neue Öko-Verordnung ebenfalls verschieben"

Momentan wird ja außerdem diskutiert, die neue EU‐Öko‐Verordnung zu verschieben. Was halten Sie davon? 

Der Zeitplan bis zum Start am 1. Januar 2021 ist sehr ambitioniert, und viele gute Ideen, wie beispielsweise besonders innovative Stallsysteme, konnten wir noch gar nicht richtig anbringen. Und dann kam noch Corona. Momentan kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Start zum Januar 2021 gelingen kann. Und selbst wenn die neue VO im Spätherbst vorliegen sollte, muss sie ja noch von den Kontrollbehörden implementiert werden. Das wäre eine große Herausforderung für 
die Kontrollstellen und für die Betriebe mit vielen Unsicherheiten verbunden. 

Die Reform ist mit dem Anspruch angetreten, dass die Umsetzung in den europäischen Ländern einheitlicher wird. Das wird so nicht funktionieren. Ich halte es für das vernünftigste, die neue Verordnung um ein Jahr zu verschieben. Denn wir haben bestehende und funktionierende Verordnungen, wir fallen nicht in den luftleeren Raum. Auch hier gilt: das Wichtigste ist Sicherheit und Verlässlichkeit für die Landwirte.

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