Auf Wiesen und in Wäldern sind deutlich weniger Insekten unterwegs als noch vor einem Jahrzehnt. Das belegen neue Daten aus drei Regionen, die Forscher unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) ausgewertet haben.
Zumindest in den Graslandschaften stehe der Artenschwund vermutlich im Zusammenhang mit der Landwirtschaft, schreiben die Wissenschaftler im Fachmagazin „Nature“. Insgesamt stellten die Forscher aber keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der regionalen Landnutzungsintensität fest.
Insekten an fast 300 Standorten gesammelt
Bisher gibt es in Deutschland nur vereinzelt größere Datensammlungen zur Entwicklung der Insektenzahlen. Ein Team um Sebastian Seibold vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München hat zwischen 2008 und 2017 regelmäßig Insekten und andere Gliederfüßer wie Spinnentiere und Tausendfüßer an 290 Standorten in drei Regionen Deutschlands gesammelt: auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland, im Hainich - einem bewaldeten Höhenrücken in Thüringen - sowie in der brandenburgischen Schorfheide.
Artenzahl ist deutlich zurückgegangen
Insgesamt analysierten die Wissenschaftler Daten von mehr als einer Million Gliederfüßern, die zu mehr als 2.700 Arten gehörten. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl im Untersuchungszeitraum um etwa ein Drittel zurück. Auch deren Gesamtmasse nahm ab, besonders ausgeprägt in den Graslandschaften - um 67 Prozent. In den Wäldern schrumpfte sie um etwa 40 Prozent. Den Einfluss schwankender Wetterbedingungen berücksichtigten die Forscher bei der Auswertung.
„Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet - das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen", sagt Wolfgang Weisser von der TUM, einer der Initiatoren des Projekts.
Den Auftakt machten Krefelder Hobbyforscher
Der Rückgang der Insektenvielfalt und die möglichen Gründe dafür werden seit einiger Zeit verstärkt diskutiert. Für Aufmerksamkeit sorgten vor allem die Analysen ehrenamtlicher Insektenkundler des Entomologischen Vereins Krefeld, die auf einen massiven Insektenschwund in Teilen Deutschlands schließen lassen. Den 2017 im Fachmagazin «PLOS ONE» vorgestellten Daten zufolge nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten zwischen 1989 und 2016 um mehr als 75 Prozent ab.
Zuvor hatten bereits andere Studien einen Rückgang der Insektenzahl und -vielfalt belegt. Allerdings stammten die Daten teils nur aus wenigen Regionen, konzentrierten sich auf einzelne Arten oder umfassten nur kurze Zeiträume.
Bewirtschaftung wurde berücksichtigt

Die Gruppe um Seibold untersuchte nun 150 Standorte in Graslandschaften jährlich zwei Mal. Von den insgesamt 140 Waldstandorten wurden 30 einmal jährlich unter die Lupe genommen, der Rest an drei Jahren innerhalb des Jahrzehnts. Auf den Wiesen sammelten die Forscher die Insekten und die anderen Krabbler mit Netzen von der Grasfläche, in den Wäldern stellten sie Fallen auf.
Um den möglichen Ursachen auf die Spur zu kommen, stellten die Forscher einen Zusammenhang zur Landnutzungsintensität an den einzelnen Standorten her. Diese reichte von Wiesen, auf denen nur einige Tage im Jahr Schafe weideten und die ansonsten weitgehend unberührt blieben, bis zu stark bewirtschafteten Flächen, die gedüngt und mehrmals jährlich gemäht wurden oder auf denen etwa ein Drittel des Jahres Rinder weideten. Auch die Waldflächen wurden in drei Kategorien von wenig bis stark bewirtschaftet unterteilt.
Weitere Studien zur Ursachenforschung notwendig
Insgesamt stellten die Wissenschaftler keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der regionalen Landnutzungsintensität fest. Allerdings war der Insektenschwund auf solchen Grasflächen besonders ausgeprägt, die von landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen umgeben waren. Dort schrumpfte vor allem die Biomasse solcher Arten, die keine großen Distanzen zurücklegen.
Möglicherweise hätten solche Insekten schlechtere Chancen, Flächen zu besiedeln, wenn diese von viel Ackerland umgeben sind, erläutern die Forscher. In den Wäldern schwanden demnach vor allem jene Arten, die weite Strecken zurücklegen. Die Gründe dafür seien noch unklar. Weitere Studien seien nötig, um die Auswirkungen der Landwirtschaft genauer zu ergründen.
Klöckner sieht vielfältige Ursachen
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner erklärte: "Wir werden die Studie sehr genau prüfen und uns anschauen, welche Insektenpopulationen rückläufig sein sollen. Land- und Forstwirtschaft sind auf die Ökosystemleistungen der Insekten angewiesen." Klöckner ergänzte, die Ursachen des Insektenrückgangs seien vielfältig und komplex. Sie beträfen auch, aber bei weitem nicht nur, die Landwirtschaft. Es gehe ebenso um die Siedlungsentwicklung, um Lichtverschmutzung in den Städten, die Versiegelung von Flächen, zugepflasterten Gärten vor den Haustüren sowie den Verkehr und die Verkehrsinfrastruktur.
Als erstaunlich bewertete Klöckner den Rückgang der Insekten im Wald. Die ökologischen Daten für die Biodiversität in den deutschen Wäldern würden von Inventur zu Inventur besser. Der Wald sei vorratsreicher, älter, naturnaher und gemischter als vor zehn Jahren. "Das passt so gar nicht mit der Studie der TU München überein", stellte die Ministerin fest. Wenn es einen Rückgang von ökologisch wichtigen Insekten im Wald gegeben habe, könne die Ursache jedenfalls nicht an der Entwicklung der Wälder hin zu mehr Biodiversität gelegen haben.
Bauernverband betont kooperativen Naturschutz
Die Verantwortung der Landwirtschaft sieht auch der Deutsche Bauernverband: „Die Studie zeigt uns, dass die Landwirtschaft Teil der Lösung sein muss. Kaum eine Branche ist so essenziell auf die Bestäubungsleistung von Bienen und Insekten angewiesen wie wir“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Dabei setze man auf kooperativen Naturschutz. In diesem Jahr habe der Verband beispielsweise freiwillig bundesweit Blühstreifen als Lebensraum für Insekten in einer Länge von über 230.000 km angelegt.
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