Die Ukraine fällt als einer der weltweit wichtigsten Exporteure von Weizen, Mais und Ölsaaten vorerst aus. Keiner kann sagen, für wie lange. Fachleute warnen vor ernsten Versorgungsdefiziten in importabhängigen Ländern. Darum werden die Forderungen nach einer Kurskorrektur in der EU-Agrarpolitik lauter. Für die Berliner Ampelkoalition droht das Thema zu einer Belastungsprobe zu werden.
Der Koalitionspartner FDP erteilt der Pflicht zur Stilllegung von 4 Prozent der Ackerfläche ab 2023 eine Absage. In einem Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion heißt es, die Zwangsbrache müsse ausgesetzt werden. Angesichts der angespannten Situation der globalen Agrarmärkte sei es zwingend notwendig, „Europas Produktionskapazität kurzfristig in diesem Jahr zu steigern und auch nachhaltig zu gewährleisten“.
Von Holzwegen und Denkverboten
Dem widerspricht Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Der grüne Agrarminister betont bislang, wer „erste Schritte“ der EU-Agrarpolitik hin zur Förderung einer klima- und umweltschonenden Landwirtschaft zurückdrehen wolle, der sei auf dem Holzweg.
Möglicherweise ist es Özdemir, der auf dem Holzweg ist – und seine Position noch räumen muss. Denn er ist zunehmend isoliert. Die unionsgeführten Landesagrarminister stoßen in das gleiche Horn wie die FDP. „In der Krise darf es keine Denkverbote geben“, heißt es in einer „Burg Warberger Erklärung“, die die Ressortchefs Barbara Otte-Kinast, Ursula Heinen-Esser, Michaela Kaniber, Peter Hauk und Sven Schulze verabschiedet haben. Sie fordern die EU auf, Spielräume für eine kurzfristige Steigerung der Agrarproduktion auszuloten. Die Mitgliedstaaten sollten die Pflicht zur Flächenstilllegung vorübergehend aussetzen können.
Der Bundesminister hält dagegen, noch. Gegen die oppositionelle CDU/CSU ist das ein Leichtes.
Der Minister reitet ein totes Pferd
Doch Özdemir dürfte auch heute (11.3.) im Kreis der G7-Agrarminister ziemlich einsam dastehen, wenn er weiter an einer Zwangsbrache festhält, während von unabhängigen Institutionen und Wissenschaftlern vor Versorgungsengpässen in Importländern gewarnt wird. Nahrungsmittelhilfe, die wohl beschlossen werden wird, ist gut. Aber man muss die Lebensmittel auch produzieren können.
Özdemirs europäische Kollegen sind längst einen Schritt weiter. Vorige Woche hatten sich die EU-Agrarminister aus Anlass des Ukraine-Krieges zu einer Sondersitzung getroffen. Auch ihr Fazit lautet: Das Produktionspotenzial der europäischen Landwirtschaft sollte jetzt voll ausgeschöpft werden. Der Anbau von Öl- und Eiweißpflanzen auf stillgelegten Flächen soll kurzfristig erlaubt werden. Am 21. März wollen die Minister entscheiden.
Womöglich kommt es in der Agrarpolitik so, wie schon in der Außen- und Sicherheitspolitik: Die Bundesregierung erkennt die veränderte Wirklichkeit durch einen Krieg in Europa als Letzte. Sie verteidigt liebgewonnene Positionen aus besseren Zeiten auch noch, wenn sie längst unhaltbar geworden sind, zum Schaden der politischen Glaubwürdigkeit Deutschlands bei seinen internationalen Partnern. Özdemir sollte das vermeiden. Der Minister reitet ein totes Pferd.