Der gemeinsame Auftritt von Ministerin Steffi Lemke und Minister Cem Özdemir bei der heutigen (18.01.), teilweise digitalen Pressekonferenz unterstrich die von Lemke angekündigte neue Herangehensweise der neuen Bundesregierung. Özdemir sprach von einer „Hausfreundschaft“, von der die Zusammenarbeit beider Ministerien gekennzeichnet sein soll.
Zur Neuausrichtung der Agrarpolitik sollen ein Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, eine Verringerung des Pestizideinsatzes und eine Umverteilung von Fördergeldern gehören. Die von der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) und der Borchert-Kommission aufgezeigten Vorschläge seien laut Özdemir für beide Ministerien und auch für alle weiteren Akteure aus Landwirtschaft und Umwelt wegweisend für den Wandel.
Özdemir bedauert Flächenprämie
Wie Lemke erläuterte, sollen wie Fördergelder künftig so verteilt werden, dass sie Landwirte honorieren, die Natur-, Umwelt- und Klimaschutz betreiben. „Dazu müssen wir aus dem System der zentralen Flächenprämien aussteigen“, teile die Grünen-Politikerin mit. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sei dafür der wichtigste Hebel. Deshalb werde sich das BMUV weiter in die Diskussion zur Weiterentwicklung der GAP einbringen. Sowohl an einer möglichen Anpassung des nationalen Strategieplans, an der Evaluierung der GAP im Jahr 2024 als auch an der weiteren Agrarreform werde Lemkes Ministerium mitwirken.
Die jetzigen Agrarzahlungen nach Fläche bezeichnete Özdemir als bedauerlich. 2024 solle das System noch einmal überprüft werden, um auf das Ziel einer „vollständigen Umwandlung der Direktzahlungen“ hinzuarbeiten. Den nationalen Strategieplan, dessen Abgabefrist Deutschland mit dem Jahreswechsel bereits überschritten hat, wolle Özdemir der EU-Kommission so schnell wie möglich vorlegen. Es werde gemeinsam mit den Ländern mit Hochdruck gearbeitet, um den Strategieplan zu finalisieren, erklärte der Landwirtschaftsminister und betonte noch einmal das Ziel, bis 2030 den Ökolandbau – auch im Supermarktregal – auf 30 Prozent erhöhen zu wollen. Der Ökolandbau stelle für Özdemir das agrarische Leitbild dar.
EU-weiter Glyphosatausstieg
Bis Ostern wolle Lemke für das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz Eckpunkte ausarbeiten und die Finanzierung des Programms sichern. Enthalten sein würden Maßnahmen, die land- und forstwirtschaftliche Flächen betreffen sowie neue Einkommensperspektiven für Landwirte. Darüber hinaus soll eine Wiederherstellung und Renaturierung von Auen, Wäldern und Böden erreicht werden. Profitieren sollen Landwirte von der Wiedervernässung von Moorböden im Rahmen der nationalen Moorschutzstrategie. Für den Moorbodenschutz sollen über zehn Jahre vier Pilotvorhaben mit 48 Millionen Euro gefördert werden. Dazu gehöre insbesondere die Unterstützung von Paludikulturen, so Lemke.
Um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern, sollen Alternativen zu chemisch-synthetischen Mitteln geschaffen werden. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, soll der Glyphosatausstieg bis Ende 2023 erfolgt sein. Dabei versicherte Lemke, auch in der EU eine Mehrheit für ein Ende des Glyphosateinsatzes erreichen zu wollen. Es soll insgesamt mehr Fläche mit einem verringerten Pflanzenschutzmitteleinsatz beziehungsweise unter Verzicht von Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet werden. Hierzu müsse laut BMUV „die Zulassungspraxis mit Blick auf negative Effekte auf die biologische Vielfalt angepasst werden“.
Noch nicht fest stünden nach Angaben von Lemke weitere Änderungen des Insektenschutzpakets und der Düngeverordnung. Die Bundesregierung setze alles daran, um das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zur Umsetzung der Düngeverordnung abzuwenden. Ob Landwirte hier mit neuen Verschärfungen rechnen müssen, ließ Lemke offen. Außerdem blieb noch unklar, mit welchem Finanzierungskonzept Özdemir die Tierbestände verringern will.
Hocker zweifelt an Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln

Gero Hocker (FDP), stellvertretender Vorsitzender im Agrarausschuss des Bundestages, unterstützt das Ziel einer nachhaltigeren Landwirtschaft – und sieht die geplant Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes deshalb kritisch. Keinem Landwirt sei daran gelegen, mehr Pflanzenschutzmittel einzusetzen als nötig. „Deshalb werden wir dem Ziel der Ampel-Koalition von mehr Nachhaltigkeit und gleichzeitig auch dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft nicht mit ständigen Drohungen von fachlich zweifelhaften Ordnungsrechtsverschärfungen und Produktionseinschränkungen gerecht“, teilt Hocker mit. Stattdessen müsse Lemke sich daran messen lassen, den politischen Aufbruch durch Innovationen wie neue Züchtungstechnologien oder digitale Anwendungen einzuleiten.
Steffen Bilger, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weist auf die Gefahr hin, dass die Landwirtschaft „zum Anhängsel der Umweltpolitik“ wird. „Anders lässt sich die Gastrolle, die Landwirtschaftsminister Özdemir und sein Haus beim Agrarkongress des Umweltministeriums einnehmen, nicht erklären“, mutmaßt Bilger.
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