Vier von den sieben Sachverständigen, die die Fraktionen zur öffentlichen Anhörung geladen hatten, äußerten deutliche Bedenken gegenüber dem EU-Vorschlag zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln.
Die Farm-to-Fork-Strategie der EU sieht unter anderem eine Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in der EU um 50 Prozent bis 2030 vor. Ein Antrag der Union, der die pauschale Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes verhindern will, war die Grundlage der öffentlichen Anhörung.
Tiedemann: Verordnungsvorschlag der EU ist wissenschaftlich nicht begründbar
Aus Sicht von Professor Andreas von Tiedemann, Leiter der Abteilung für Pflanzenpathologie und Pflanzenschutz der Georg-August-Universität Göttingen, werden in der Pflanzenschutzpolitik falsche Ansätze verfolgt. Die Pläne der EU beruhen laut Tiedemann auf einer falschen Nutzen-Risiko-Bewertung des Pflanzenschutzes.
Wegen der Zunahme neuer, invasiver Schaderreger sei dem Wissenschaftler zufolge künftig ein noch effektiverer Pflanzenschutz notwendig. Wenn die systemrelevanten Pflanzenschutzmittel aber eingeschränkter verwendet werden können, werde das auch die Anzahl von Kulturpflanzen reduzieren, die ertragreich angebaut werden können. Hinzu komme, dass sich der Trend zu größeren Betrieben fortsetzen und Deutschlands Agrarimporte erhöhen würden.
Stattdessen müssten sich die Regelungen an den ursächlichen Faktoren – insbesondere der Vielfalt der Lebensräume – orientieren, so Tiedemann. Dagegen könne die Biodiversität nicht durch eine Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes erhöht werden.
Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands (DBV), schätzt die geplanten Maßnahmen der EU als ungeeignet ein. Darüber hinaus werde die Ernährungssicherheit im Verordnungsvorschlag nicht berücksichtigt. Der Antrag der Union wurde vom DBV unterstützt.
Innovationen im Pflanzenschutz fördern
Die fehlende wissenschaftliche Basis bei den Reduktionszielen der EU bemängelte auch Frank Gemmer, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar (IVA). Seiner Ansicht nach fänden außerdem Alternativen zum chemisch-synthetischen Pflanzenschutz keine Berücksichtigung. Gemmer erinnerte daran, dass der Plan der EU momentan dazu führen würde, dass allein in Deutschland einer Studie des Thünen-Instituts zufolge 3,5 Mio. Hektar Ackerfläche aus der Bewirtschaftung fallen würden. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hin zu größeren Betrieben werde damit beschleunigt.
Größere Betriebe könnten andererseits eine wichtige Rolle bei der künftigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln spielen, erklärte Professor Jens Karl Wegener, Leiter des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen am Julius-Kühnen-Institut. So seien technische Neuerungen wie das Spot-Spraying auf Feldern und der Ausbau der Digitalisierung bei Betriebsprozessen auf Großbetrieben am besten umzusetzen. Auch Tewes Tralau vom Bundesinstitut für Risikobewertung sagte, dass vor allem die kleineren und mittleren Betriebe nicht von heute auf morgen auf Pflanzenschutzmittel verzichten könnten.
Bellingrath-Kimura: Nicht nur den einzelnen Schlag betrachten
Dass das Potenzial der Pflanzenschutzmittelreduktion bisher noch nicht systematisch und umfänglich untersucht worden sei, sagte Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura, Professorin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung. Eine 30-50-prozentige Pflanzenschutzmittelreduktion werde am Leibniz Zentrum seit 2020 untersucht. Die bisherigen Ergebnisse deuteten darauf hin, dass raum-zeitliche Beziehungen zwischen verschiedenen Fruchtarten eine wichtige Rolle spielten. Nicht ausreichend sei dagegen die Betrachtung einer einzelnen Kultur auf einem Schlag in einer Saison.
Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung verwies auf die Ergebnisse der UN-Artenschutzkonferenz in Montreal vom Dezember vergangenen Jahres. Es seien Vorgaben gemacht worden, die auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft hätten. So sei das Ziel, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen, formuliert worden. Solche Abkommen müssten als Wegmarken Orientierung geben.
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