Zunächst stellt die EEA fest, dass die Menge der jährlich in der EU-27 verkauften Pflanzenschutzmittel sich von 2011 bis 2020 sich nicht wesentlich verändert hat. Jedes Jahr würden etwa 350.000 Tonnen verkauft. Bei den Anwendungsgebieten wird nicht nur die Landwirtschaft erwähnt, sondern beispielsweise auch Straßen, Schienen, öffentliche Parks, Spielplätze oder Gärten.
Auf die größten vier landwirtschaftlichen Erzeugerländer der EU – Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien – entfielen beim Pflanzenschutzmittelverkauf die größten Absatzmengen. Kritisch bemerkt die Analyse außerdem, dass bestimmte Pflanzenschutzmittel in der EU zwar verboten sind, sie aber immer noch in Nicht-EU-Länder exportiert werden. Auf diese Weise könnten Lebens- oder Futtermittelimporte mit Rückständen kontaminiert sein, die in der EU verboten sind.
Nachweise von deutlichen Rückgängen für EEA nicht ausreichend
Zudem weist die EEA in ihrer Analyse auf das Ziel des europäischen Green Deal hin, bis 2030 den Einsatz und das Risiko von chemischen Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent und den Einsatz gefährlicherer Pflanzenschutzmittel ebenfalls um 50 Prozent reduzieren zu wollen.
Für die Messbarkeit der Fortschritte ziehe die EU-Kommission zwei Indikatoren heran. Der erste Indikator habe für 2020 einen Rückgang von 14 Prozent im Vergleich zum Zeitraum von 2015 bis 2017 gezeigt. Bei den gefährlicheren Pflanzenschutzmitteln betrage der Rückgang 26 Prozent.
Die EEA stellt diese Ergebnisse jedoch in Zweifel, weil es zu wenig EU-weite Daten zum tatsächlichen Pflanzenschutzmitteleinsatz gebe. Außerdem sei die Methodik für die Erhebung unter anderem vom Europäischen Rechnungshof kritisiert worden. Der regulatorische Status zum Risiko sei wichtiger als wissenschaftliche Erkenntnisse für die verursachten Schäden.
Risiko von Pflanzenschutzmitteln aus Notfallzulassungen gestiegen
Bei der Verlängerung von Genehmigungen könnten bereits eingesetzte Wirkstoffe auf dem Markt bleiben, während die neue Risikobewertung durchgeführt wird. In der Vergangenheit habe das dazu geführt, dass weiterhin Wirkstoffe verwendet worden sind, die später verboten wurden.
Bei den Genehmigungen würden darüber hinaus Zusammenhänge ausgeblendet. Deshalb seien die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und auf die Ökosysteme ebenfalls nicht ausreichend untersucht.
Zu Notfallzulassungen in der EU könne es aus einer Vielzahl von Gründen kommen. Den Indikatoren der EU-Kommission zufolge sei das Risiko, das von Notfallzulassungen ausgehe, im Jahr 2020 um 38 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum von 2011 bis 2013 gestiegen.
Überschreitung der Schwellenwerte für Gewässer
Daten aus den Mitgliedstaaten, die der EEA übermittelt wurden, hätten ergeben, dass bei 21,6 Prozent der Oberflächengewässer die Schwellenwerte für Pflanzenschutzmittelrückstände überschritten wurden. Beim Grundwasser wurden die Werte an sechs Prozent der Messstellen überschritten.
Wie die Europäische Umweltagentur erklärt, seien die Stoffe, bei denen es die meisten Überschreitungen gebe, in der EU nicht mehr zugelassen. Das deute auf langfristige Auswirkungen und auf Rückstände aus Notfallzulassungen hin.
Bei der Belastung von Böden zeigten Daten aus der europäischen LUCAS-Datenbank, dass 83 Prozent der Mutterbodenproben Rückstände von Pflanzenschutzmitteln enthalten. Bei 58 Prozent der Proben seien Rückstände von Mischungen aus Pflanzenschutzmitteln verzeichnet worden. Dabei seien Glyphosat und der Metabolit Aminomethylphosphonsäure (AMPA) am häufigsten – bei 25 Prozent der Mischungen – aufgetreten.
Eine Studie, die in drei EU-Ländern durchgeführt wurde, habe laut EEA gezeigt, dass in Böden von Biobetrieben deutlich weniger Rückstände nachgewiesen wurden.
EEA: Pflanzenschutzmittel in Ökosystemen können Krankheiten beim Menschen verursachen
Zur Wirkung von Pflanzenschutzmitteln auf Ökosysteme pauschalisiert das EEA-Briefing, dass beim Überschreiten von Schwellenwerten ökologische Prozesse gestört würden. Betroffene Ökosysteme seien weniger vielfältig und gegen Störungen resistent.
Jüngste Studien über die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln hätten einen Rückgang von Insekten, Vögeln, Fledermäusen, Regenwürmern, Wasserpflanzen, Fischen und Amphibien gezeigt. Die Effekte könnten für die Organismen tödlich oder nicht tödlich sein. Es wird auf den drastischen Rückgang von Regenwürmern hingewiesen. Außerdem belegten verschiedene Erhebungen eine signifikante Verringerung der Insektenhäufigkeit, -vielfalt und -biomasse.
Die EEA warnt vor dem Rückgang von Bestäubern. Weniger Bestäuber könnten dazu führen, dass die Verfügbarkeit von Obst, Gemüse und Nüssen abnehme. Schlaganfälle, Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen könnten dann zunehmen.
EFSA: Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln ohne Risiko
Die Aufnahme von Pflanzenschutzmittelrückständen durch die Ernährung stelle laut Europäischer Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kein Risiko für die Gesundheit da. In einem heute von der EFSA veröffentlichen Bericht für das Jahr 2021 heißt es, dass bei 96,1 Prozent der Lebensmittelproben keine Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstwerte vorlag. Die EEA weist jedoch darauf hin, dass auch hier mögliche Mischungseffekte nicht berücksichtigt wurden.
Verschiedene nationale Studien hätten eine Kontamination des Trinkwassers aufmerksam gemacht. Beispielsweise seien in Dänemark zwischen 2015 und 2019 von allen Haushalten 41 Prozent potenziell von Pflanzenschutzmitteln im Trinkwasser betroffen gewesen.
Eine mehrjährige, in fünf europäischen Ländern durchgeführte Studie habe ergeben, im menschlichen Körper zu 84 Prozent mindestens zwei Pflanzenschutzmittel vorhanden waren. Die Konzentration war bei Kindern höher als bei Erwachsenen. Es gebe laut EEA enge Zusammenhänge zwischen Pflanzenschutzmitteln und mehreren chronischen Krankheiten, die aber noch nicht bestätigt werden konnten.
Die EEA schlägt verschiedene Maßnahmen zur Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes vor. Beispielsweise solle die Notwendigkeit von Notfallzulassungen genauer überprüft werden. Wie die Agentur betont, stehe die Nahrungsmittelversorgung in der EU heute nicht auf dem Spiel. Wegen der negativen Auswirkungen werde sich ein übermäßiger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln letztendlich negativ auf die Ernährungssicherheit auswirken.
IVA: Deutschland hat bereits große Mengen an Pflanzenschutzmitteln eingespart
Nach der heutigen Veröffentlichung des EEA-Briefings kündigte der Industrieverband Agrar (IVA) an, den Inhalt auf europäischer Ebene gemeinsam mit anderen Verbänden gründlich analysieren zu wollen.
„Für Deutschland lässt sich aber schon jetzt sagen, dass der EU-weit Harmonisierte Risikoindikator 1 (HRI1) in den vergangenen zehn Jahren einen gut 40-prozentigen Rückgang der nach Risiko gewichteten Menge an Pflanzenschutzmittel ausweist“, teilt ein IVA-Sprecher mit.
Außerdem habe ein Audit der EU-Kommission gezeigt, dass Deutschland bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans (NAP) zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit über 90 Prozent die höchste Erfüllungsquote in Europa aufweise.
Laut IVA arbeite die Pflanzenschutzindustrie intensiv an Lösungen, um den Einsatz weiter zu reduzieren. Ein Schlüssel liege in der Präzisionslandwirtschaft.
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