
Ministerin Klöckner hatte die Konsequenzen aus der Corona-Pandemie für eine stabile Lebensmittelkette und das Tierwohl zu den zentralen Themen der Debatte der EU-Minister gemacht. Nach ihren Worten äußerte in der Ratstagung eine große Mehrheit der Landwirtschaftsminister ihre Unterstützung dafür, eine eigenständige europäische Lebensmittelversorgung zu stärken. Die Defizite, die in der akuten Krise aufgetreten seien, sollten wissenschaftlich analysiert werden. Es gehe um ein funktionierendes Zusammenspiel zwischen lokalen Märkten, dem Binnenmarkt und regalbasiertem internationalem Handel.
Eine deutliche Mehrheit der Minister habe sich auch dafür ausgesprochen, für Lebensmittel eine EU-weite Herkunftskennzeichnung einzuführen. Dabei sollten einheitliche Kriterien gelten, die den Binnenmarkt nicht gefährdeten.
EU-Kommission plant Folgenabschätzung zur Herkunftskennzeichnung

Auch für das von ihr vorangetriebene europäische Tierwohl-Label sieht Klöckner große Unterstützung im Kreis der EU-Agrarminister. Dabei hätten die Delegationen Wert gelegt auf eine solide Finanzierung, Regeln von der Erzeugung bis zur Schlachtung und wissensbasierte Kriterien, die mit existierenden Systemen in Einklang gebracht werden könnten.
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski kündigte an, noch vor Jahresende eine Folgenabschätzung zur Einführung einer Herkunftszeichnung vorzulegen.
Lebensmittelversorgung und Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum stellen
Zum öffentlichen Auftakt der Sitzung hatte DBV-Präsident Joachim Rukwied in seiner Rolle als Präsident des EU-Bauernverbandes COPA den Ministern eingeschärft, bei der gemeinsamen Agrarpolitik eine sichere Versorgung der europäischen Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaftsbetriebe in den Mittelpunkt zu stellen. Es gelte, die Einkommen der Landwirte zu sichern.
Tobias Diehl, Landwirt aus Ingelheim, berichtete den EU-Agrarministern von seinen Erfahrungen als einer von zehn Demonstrationsbetrieben im Rahmen des F.R.A.N.Z.-Projektes. Diehl betonte, die Landwirte seien bereit, ihren Beitrag zu mehr Naturschutz zu leisten. Sie könnten die Kosten aber nicht allein tragen. „Schaffen Sie Anreize für Umweltmaßnahmen, statt sie erzwingen zu wollen“, appellierte Diehl an die Minister und Staatssekretäre der 27 EU-Mitgliedstaaten. Diehl warnte, wer den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln pauschal um 50 Prozent reduzieren wolle, setze die sichere Lebensmittelversorgung aufs Spiel.
Zahlreiche Protestgruppen mit gegensätzlichen Forderungen
Für Beobachter der zahlreichen Proteste zwischen dem Deutschen Eck in Koblenz und den Winninger Weinbergen an der Mosel war es zeitweise schwierig, den Überblick zu behalten, wer eigentlich für was auf die Straße beziehungsweise aufs Wasser und in die Luft ging.
Verschiedene Akteure hatten zu den Demonstrationen aufgerufen von Land schafft Verbindung (LsV) über den Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM), die Freien Bauern bis hin zur Bewegung „Wir haben es satt!“. Auch Greenpeace und andere agrarkritische Organisationen waren vor Ort. Immer wieder wurden die Minister mit Schlepperkorsos, von Begleitbooten aus, mit Plakaten, Hupen und Sirenen auf die Forderungen der Landwirte, aber auch der Anhänger einer Agrarwende hingewiesen.
Rukwied distanziert sich von Radikalisierung
Irritationen löste unter den europäischen Ministern ein Banner aus, auf dem großformatige Fotos von Merkel, Klöckner, Schulze, von der Leyen, Timmermans und Rukwied zusammen mit einem Galgenstrick und dem Text „Die Henker der Landwirtschaft“ gezeigt wurden.
DBV-Präsident Rukwied äußerte in einem Pressegespräch am Rande der Ratstagung volles Verständnis über den Unmut der Landwirte. Entscheidungen wie eine nicht wissensbasierte Düngeverordnung oder das Aktionsprogramm Insektenschutz lösten unter den Landwirten Zukunftsängste aus. Das sei voll nachvollziehbar.
Rukwied sagte aber auch: „Wir distanzieren uns von jeglicher Radikalisierung und von Emblemen wie Pflug und Schwert. Wir sind aufrechte Demokraten und überzeugte Europäer.“
Agrarkommissar Wojchiechowski soll sich stärker für die Landwirtschaft einsetzen
Der DBV verzichtete in Koblenz auf Proteste. Stattdessen setzte Rukwied darauf, Klöckner und den EU-Agrarministern als „Advokaten der europäischen Landwirtschaft“ den Rücken zu stärken für die weiteren Reformdebatten in Brüssel.
An EU-Agrarkommissar Wojciechowski richtete er die Worte: "Wir erwarten, dass sich der Agrarkommissar in Zukunft intensiv in die Gestaltung der GAP-Reform einbringt." Wojchiechowski solle sich in der Kommission künftig deutlich stärker für die Anliegen der europäischen Landwirtschaft einsetzen.
Hin- und hergerissen zwischen Wut und der Notwendigkeit politischer Mehrheiten
Die Koblenzer Ratstagung zeigte somit vor allem eines eindrücklich: Die Zerrissenheit des landwirtschaftlichen Berufsstandes. Einerseits besteht an der Basis der verbreitete starke Drang, den Frust über die nationale Agrarpolitik in wütenden Protesten zum Ausdruck zu bringen. Andererseits folgt die DBV-Spitze der Überzeugung, dass Entscheidungen im Interesse der Landwirtschaft nur durch politische Mehrheiten und gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen sind.
Das sind keine guten Vorzeichen für das ersten Treffen der Zukunftskommission Landwirtschaft am 7. September.
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