
Er hätte wohl besser einfach seinen Geburtstag gefeiert, corona-konform im kleinen Kreis. Stattdessen gab Cem Özdemir der "BILD am Sonntag" am 21. Dezember ein Interview – und schuf damit seinen persönlichen Murmeltiertag. Denn seine am zweiten Weihnachtstag veröffentlichte Ansage, „es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben“, hören die Deutschen seit Jahren immer wieder.
In unschöner Regelmäßigkeit haben wechselnde Bundesagrarminister den Dumpingpreisen im Lebensmitteleinzelhandel den Kampf angesagt. Zuletzt waren es Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU), die in die schon reichlich ausgewetzte Kerbe schlugen. Erinnert sei nur an den „Nackensteak-Gipfel im Kanzleramt“, O-Ton BILD, als im Februar 2020 Kanzlerin Merkel staatliche Mindestpreise für Lebensmittel ablehnte. Glatt gescheitert auch Klöckners Versuch, die Werbung mit Sonderangeboten für Fleisch zu verbieten.
Was Verbraucher wirklich wollen
Anders als bei seinem Radler-Auftritt zu seiner Vereidigung, bewies Cem Özdemir mit seinen Aussagen zu den Lebensmittelpreisen allerdings kein gutes Gespür für die Medien. Denn die Verbraucher sind seit Monaten verunsichert durch eine für deutsche Verhältnisse geradezu galoppierende Inflation, die auch die Lebensmittelpreise erfasst hat. Um 4,5 Prozent lagen die Nahrungsmittelpreise im November 2021 über dem Niveau des Vorjahres. Wer wenig Geld verdient, spürt das unmittelbar an der Supermarktkasse. Da zeugt es von wenig Gefühl für die Gemütslage der Bürger, ausgerechnet jetzt höhere Lebensmittelpreise zu fordern.
Was die Verbraucher wirklich wollen, könnte Özdemir gerade dieser Tage leicht lernen: Billiges Fleisch für das Raclette an Silvester, 500 Gramm Rind und Schwein für 4,99 Euro. Die Zeitungen und Handzettel von Aldi bis Edeka sind voll von solchen Angeboten, Haltungsform 1. Mehr Tierwohl gegen Aufpreis? Vielleicht im neuen Jahr.
Es geht um die Marge, nicht den Ladenpreis
Cem Özdemir weiß natürlich, dass er mit der SPD im Kanzleramt keine staatlich verordneten Mindestpreise für Fleisch und Brot durchsetzen kann. „Lebensmittel dürfen kein Luxusgut werden“, schiebt er in der BamS sicherheitshalber hinterher.
Postwendend macht der Paritätische Wohlfahrtsverband klar: Falls Lebensmittel zum Schutz der Umwelt und der bäuerlichen Betriebe teurer werden sollten, müsse ein sozialer Ausgleich für Arme her. So schnell ist Özdemirs Geschichte von höheren Lebensmittelpreisen zu Ende erzählt.
Ohnehin ist sie falsch, auch wenn sie noch so oft wiederholt wird. Selbst wenn das Schnitzel im Laden fünfmal so viel kostete wie heute, würde das dem Landwirt wenig nutzen. Es kommt nämlich nicht auf den Verkaufspreis an, sondern auf die Verteilung der Marge.
Özdemir verspricht viel - wird er es halten?
Daher ist es doppelt schade, dass BILD und andere Medien sich nur auf Özdemirs Absage an die Ramschpreise fokussiert haben. Denn in seinem Interview kündigt der neue Landwirtschaftsminister einige andere konkrete politische Vorhaben an.
Der grüne Agrarminister will:
- dafür sorgen, dass sich die Zahl der Nutztiere an der verfügbaren Fläche orientiert und insgesamt verringert wird,
- Fleisch mit einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung labeln,
- die Rechtsgrundlage für eine Kameraüberwachung in Schlachthöfen schaffen,
- Teile des Tierschutzrechts in das Strafgesetzbuch überführen und den Strafrahmen erhöhen,
- verbindliche Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten festlegen,
- Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, verbieten,
- die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen stärker auf regionale und Bio-Produkte umstellen,
- einen staatlich lizenzierten Markt für Cannabis einführen.
Das sind handfeste Ziele. Man muss sie nicht gut finden, aber man darf gespannt sein, wie viel davon Özdemir umsetzen können wird. Sein Versprechen ist vollmundig: „Ab jetzt wird geliefert. Ab jetzt ist das Wort des Bundeslandwirtschaftsministers eines, das ernst gemeint ist“. An dieser Ansage wird sich der Grüne messen lassen müssen, egal, ob er sich dafür eine ganze Legislaturperiode Zeit nimmt oder vorzeitig die Nachfolge von Winfried Kretschmann als Ministerpräsident von Baden-Württemberg antreten will.
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