Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir fand auf dem Deutschen Bauerntag in Lübeck am 14. Juni 2022 klare Worte, was die anstehende Neuabgrenzung roter Gebiete angeht. Unter der Vorgängerregierung hätten sich weder Bund noch Länder mit Ruhm bekleckert. Doch das werde nun anders: „Wir haben jetzt eine Genehmigung für die von uns vorgeschlagene Gebietsausweisung. Wir haben jetzt endlich Sicherheit.“ Tags drauf, am 15. Juni, verabschiedete das Bundeskabinett eine neue Fassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung der gelben und roten Gebiete (AVV GeA). Abgeschlossen ist das Thema damit aber noch lange nicht – auch nicht für die landwirtschaftlichen Betriebe, die sich nach Sicherheit sehnen.
Warum die Neuabgrenzung der roten Gebiete zu neuen Klagen führen wird
Das Problem bei den neuen Regeln zur Abgrenzung roter Gebiete ist, dass keinerlei einzelbetriebliche Ausnahme von den Einschränkungen der Düngeverordnung vorgesehen ist. Wer im roten Gebiet ist, wird im Wirtschaften eingeschränkt – ganz egal, wie umweltfreundlich der Betrieb arbeitet. Dieses Verursacherprinzip haben die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft im Februar 2022 gegenüber der EU-Kommission aufgegeben, als sie ihren neuen Vorschlag für rote Gebiete gemacht haben. Damit bringen sie die betroffenen Bäuerinnen und Bauern in Not: Wenn überdurchschnittliche eigene Anstrengungen zur Verringerung der Nitratbelastung nicht honoriert werden, wird der eigene Betrieb bestraft – etwa, indem er größere Lagerkapazitäten für Gülle vorhalten muss. Dann heißt es entweder, das eigene Schicksal erdulden oder den Klageweg gehen. Durch eigene Kraft kann sich der Landwirt nicht aus einem roten Gebiet "herausarbeiten".
Klagen gegen rote Gebiete können erfolgreich sein
Gegen eine bestimmte Ausweisung roter Gebiete zu klagen, kann erfolgreich sein. Das hat man etwa in Brandenburg gesehen, wo ein Gericht die dortigen Gebietsausweisung gekippt hat. Der Spielraum für Klagen bleibt, weil auch die neuen Regeln zur Ausweisung roter Gebiete auf ein Messstellennetz aufbauen, das hinten und vorne nicht reicht. Zwar steht im Text der neuen Verwaltungsvorschrift, dass die Länder die Sache bis Ende 2024 in Ordnung bringen sollen. Aber das in die Praxis umzusetzen, wird äußerst schwierig.
Welche Probleme gibt es bei der Erweiterung des Messstellennetzes?
Woher kommen die Flächen für neue Messpunkte? Wer stellt sicher, dass die Behörden vor Ort die technische Ausrichtung zur Einrichtung einer Messstelle haben? Das sind nur zwei von vielen offenen Fragen. Selbst wenn das Messnetz irgendwann einmal ausreichend dicht sein sollte: Die neuen Regeln für rote Gebiete lassen den Ländern bis Ende 2028 Spielraum, welche Modellierung der Nitratbelastung sie verwenden. Rechtssicherheit sieht anders aus.
Warum lässt sich die EU-Kommission auf die Neuregelung für rote Gebiete ein?
Überraschend ist, warum sich die EU-Kommission auf den Deal zur Neuabgrenzung der roten Gebiete eingelassen hat. Vollständig umgesetzt werden soll die Neuregelung erst bis Ende 2028. Bislang hieß es seitens des Bundes jedoch immer, dass sofort gehandelt werden müssen, wenn nicht Brüssel Deutschland mit Strafzahlung wegen Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie belegen solle. Auf einmal soll die Bundesrepublik über sechs Jahre Zeit zur Umsetzung haben? Was wäre angesichts von so viel Spielraum noch bei der Düngeverordnung möglich gewesen, wenn die Bundesministerien für Umwelt und Landwirtschaft es gewollt hätten? Vielleicht sogar eine aus fachlicher Sicht sinnvollere Lösung? Denn es klagen Bauern gegen die Ausweisung roter Gebiete auch aus fachlichen Gründen.
Warum die Lage trotz der Neuregelung der roten Gebiete spannend bleibt
Spannend bleibt nun, ob die EU-Kommission das Verfahren gegen Deutschland nun wirklich einstellt oder ob es – quasi als dauerhafte Drohkulisse – nur ausgesetzt wird, bis die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung roter Gebiete zum 31.12.2028 komplett umgesetzt ist. Wenn Brüssel in naher Zukunft wieder einmal Nachforderungen stellen sollte, wären die Bundesminister Steffi Lemke und Cem Özdemir blamiert.
Die Derogationsregel sollte jetzt wieder auf die Agenda
Wenn keine Nachforderungen aus Brüssel kommen, wäre es jetzt an der Zeit, die Derogationsregel - die N-Sonderregel auf Grünland - zur Ausbringung von Wirtschaftsdünger wieder einzuführen. Als diese abgeschafft wurde hieß es, dass eine Neuauflage erst nach der vollständigen Klärung der Düngeverordnung kommen könne. Am 8. Juli ist die Neuregelung der roten Gebiete im Bundesratsplenum. Das wäre ein guter Zeitpunkt, die Derogationsregelung wieder auf das politische Tablett zu bringen.
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