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Interview

Warum Schwedens Bauern nicht demonstrieren

Die schwedische Landwirtschaftsministerin Jennie Nilsson im Gespräch mit agrarheute.
am Mittwoch, 05.02.2020 - 11:00 (3 Kommentare)

Schwedens Landwirte unterliegen den strengsten Auflagen in Europa. Trotzdem fahren keine Traktoren durch Stockholm. agrarheute hat die schwedische Landwirtschaftsministerin Jennie Nilsson gefragt, warum das so ist.

Frau Nilsson, in Deutschland gehen die Landwirte seit Monaten auf die Straße und demonstrieren für mehr Akzeptanz und einen faireren Umgang mit ihrem Berufsstand. Aus Schweden hört man nichts dergleichen. Haben schwedische Bauern einen besseren Stand beim Verbraucher?

Ich glaube, bei uns ist die Situation wirklich anders. Generell haben Landwirte in Schweden einen hohen Status, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik. Und daran arbeiten wir auch weiter. Wir haben mittlerweile eine nationale Strategie für die Entwicklung des ländlichen Raumes, mit der wir unter anderem die regionale Produktion, deren Verarbeitung und den Export stärken.

Wer arbeitet an dieser nationalen Strategie mit?

Wir haben versucht, alle Interessengruppen einzubinden. Der Schwedische Bauernverband (LRF) ist beteiligt nebst Fachverbänden und regionalen Unterorganisationen. Aber auch Verarbeiter wie Bäckereien, Schlachtereien und Molkereien sind dabei. Und nicht zuletzt reden die Gewerkschaften mit. Wir sind breit aufgestellt.

Wie wirkt sich das auf den Verbraucher aus?

Beispielsweise gab es eine Debatte um den Fleischverzehr. Die ist von der Bevölkerung gut aufgenommen worden. Die Schweden essen inzwischen tatsächlich etwas weniger Fleisch. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist nach jahrelangem Anstieg seit 2016 um rund fünf Prozent gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil von Fleisch aus schwedischer Produktion am Gesamtverbrauch angewachsen – bei Rind um 3 und bei Schwein um 2,5 Prozent.

Und das, obwohl schwedisches Fleisch teurer ist als importiertes? Ist Geiz in Schweden nicht geil?

Natürlich gibt es auch in Schweden einen Unterschied zwischen haben wollen und bereit sein, zu bezahlen. Aber ich glaube, dass diese Schere etwas kleiner ist als in Deutschland. Es ist mittlerweile so, dass Schweden bei schwedischem Fleisch sehr wohl bereit sind, sehr viel mehr zu bezahlen. Und bei anderen heimischen Produkten ist es ähnlich. Für schwedische Erdbeeren kann man zum Teil die doppelten Preise nehmen.

Wenn mal mal betrachtet, wieviel von ihrem Einkommen Menschen im Laufe der Geschichte für Lebensmittel gezahlt haben, ist dieser Anteil in den vergangenen hundert Jahren doch enorm gesunken. Dieser Trend kehrt sich in Schweden mittlerweile um. Verbraucher geben wieder mehr für Essen aus. 12,6 Prozent ihres Einkommens investieren die Schweden heute in ihre Ernährung. 2001 waren es noch 12,1 Prozent.

Was glauben Sie, woher diese Zahlungsbereitschaft kommt?

Hier hat über viele Jahre vor allem Information eine große Rolle gespielt. Schwedische Konsumenten wissen: Wenn wir heimische Produkte kaufen, bekommen wir eine gute Qualität – hohes Tierwohl, wenig Anibiotika und so weiter. Das musste natürlich kommuniziert werden. Und nicht zuletzt müssen für den Kunden schwedische Produkte leicht erkennbar sein. Die Branche hat dafür – unabhängig von der Politik – ein Gütesiegel entwickelt. „Från Sverige“ („Aus Schweden") heißt es. Aber auch der Handel tut sein übriges. Bei uns sind Lebensmittel generell deutlich herkunftsgekennzeichnet.

Viele deutsche Landwirte fordern ein ähnliches Siegel. Aus der Politik heißt es, da sei die EU vor. Wie handhaben Sie das?

Wir halten uns natürlich genauso streng wie Deutschland an EU-Vorschriften. Das heißt, kein ausländischer Anbieter darf benachteiligt oder ausgegrenzt werden. Was wir zur Verfügung stellen, ist lediglich eine Verbraucherinformation. Mittlerweile gibt es sogar Bestrebungen, diese Kennzeichnung auch auf die Gastronomie zu erweitern.

Abgesehen von einer besseren Unterstützung durch die Bevölkerung stöhnen viele schwedische Bauern dennoch unter den hohen Auflagen, die vor allem im Tierhaltungsbereich an der Weltspitze liegen. Gibt es da keine Gegenwehr von landwirtschaftlicher Seite?

Generell möchten natürlich alle, die ein Geschäft haben, so wenig wie möglich an Regeln und Auflagen gebunden sein. Das gilt nicht nur für die Landwirte. Aber bei uns spielt der erzielte Mehrwert eine erhebliche Rolle. Die Landwirte bekommen ihre hohe Qualität ja auch gut bezahlt. Trotzdem kommt es natürlich immer darauf an, wen sie fragen.

Wir sind gerade beim Tierwohl in vielerlei Hinsicht Vorreiter. Wir haben zeitig Vorgaben eingeführt, die wahrscheinlich auch auf EU-Ebene in den nächsten Jahren Standard werden. Dann sind unsere Landwirte im Vorteil, weil sie den Umstellungsprozess schon hinter sich haben. Wir können inzwischen bereits schauen, wie wir Regeln und administrative Aufgaben vereinfachen. Und wir können anderen Ländern mit unseren Erfahrungen weiterhelfen. Auch, was die Kommunikation mit dem Verbraucher angeht.

Das Gespräch führte agrarheute-Redakteurin Sabine Leopold.

 

Über Jennie Nilsson

Jennie Nilsson

Jennie Nilsson gehört der Sozialdemokratischen Partei an und ist seit gut einem Jahr schwedische Ministerin für Ländliche Angelegenheiten in der rot-grünen Minderheitsregierung unter Premierminister Stefan Löfven.

Ihre Verantwortungsbereiche sind die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Jennie Nilsson ist 48 Jahre alt und hat zwei Kinder. Einen landwirtschaftlichen Hintergrund besitzt sie nicht.

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