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EU-Haushalt +++ aktualisiert: 13:30 Uhr +++

Sondergipfel macht den Weg frei für die Reform der EU-Agrarpolitik

Emmanuel Macron und Angela Merkel
am Dienstag, 21.07.2020 - 11:30 (Jetzt kommentieren)

Der EU-Sondergipfel hat den lange umstrittenen Finanzrahmen bis 2027 festgezurrt. Damit kann die GAP-Reform jetzt vorangetrieben werden. Und eine obligatorische Kappung der Direktzahlungen ist vom Tisch.

Bundeskanzlerin Merkel auf dem EU-Sondergipfel

Vier Tage lang haben die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel um einen Kompromiss für einen Corona-Wiederaufbaufonds und den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für 2021 bis 2027 gerungen.

„Wir haben die Weichen für die finanziellen Grundlagen der EU der nächsten sieben Jahre gestellt und gleichzeitig eine Antwort auf die größte Krise seit Bestehen der Europäischen Union gegeben“, sagte Bundeskanzlerin Merkel im Anschluss an das Treffen.

Mit ihrem Beschluss vom frühen Dienstagmorgen räumen die EU-Spitzenpolitiker ein wichtiges Hindernis für die Verhandlungen über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus dem Weg. Der Finanzrahmen steht. Jetzt können die EU-Agrarminister über die Mittelverteilung entscheiden. Bisher scheiterten substantielle Verhandlungen immer wieder an der Frage, wieviel Geld für die GAP überhaupt zur Verfügung stehen wird.

750 Milliarden Euro für den Wiederaufbaufonds

Der neue Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ zur Linderung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wird mit 750 Mrd. Euro dotiert. Von dieser Summe werden 390 Mrd. Euro als Zuschuss und 360 Mrd. Euro als Kredite den Mitgliedstaaten von der EU zur Verfügung gestellt. Sie müssen zweckgebunden für die Bewältigung der Corona-Folgen eingesetzt werden. Die EU nimmt die Gelder am Kapitalmarkt auf, macht also erstmals eigene Schulden.

Kappung freiwillig ab 100.000 Euro

Für die Jahre 2021 bis 2027 sind 1.074,3 Mrd. Euro an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen. Auf den Bereich der Agrarmarktausgaben und Direktzahlungen entfallen 258,6 Mrd. Euro zu Preisen von 2018.

Bei dieser Mittelausstattung werden die Direktzahlungen in Deutschland verglichen mit dem Stand von 2020 voraussichtlich um etwa 2,3 Prozent zurückgehen müssen. Das entspricht dem Minus, das bereits nach dem letzten Kompromissvorschlag der EU-Kommission von Ende Mai zu erwarten war. Eine geringfügige Änderung könnte sich hier noch ergeben.

Der Sondergipfel erweiterte nämlich die Anforderungen an die Angleichung der Direktzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten, die sogenannte Konvergenz. Ziel ist nun, dass die Direktzahlungen in allen Mitgliedstaaten 2022 mindestens 200 Euro und bis 2027 von mindestens 215 Euro je Hektar betragen sollen. Für diese Umverteilung müssen die Mitgliedstaaten aufkommen, die bisher höhere Prämien haben.

Eine besonders aus deutscher Sicht wichtige Vorfestlegung für die GAP-Reform traf der Gipfel: Die Kappung der Direktzahlungen soll auf freiwilliger Basis ab 100.000 Euro greifen. Die Kappung soll sich auf die Basisprämie beschränken. Wird sie angewandt, sollen die Mitgliedstaaten alle Arbeitskosten berücksichtigen dürfen.

Fördermittel für den ländlichen Raum aufgestockt

Auch für die zweite Säule der EU-Agrarpolitik setzte der Gipfel einige Fixpunkte. Die Mittel für den ländlichen Raum aus dem MFR betragen nun für 2021 bis 2027 rund 77,85 Mrd. Euro zu Preisen von 2018; das sind etwa 2,9 Mrd. Euro mehr als zuletzt im Raum standen.

Wie sich diese Aufstockung auf die nationale Mittelverteilung auswirkt, wird allerdings Detailberechnungen erfordern. Denn parallel kürzte der Gipfel bekanntlich die ländlichen Fördermittel aus dem Wiederaufbaufonds um 50 Prozent auf 7,5 Mrd. Euro. Daneben wurden für einige Mitgliedstaaten zusätzliche Zuweisungen für den ELER beschlossen. Für Deutschland sind das 650 Mio. Euro, für Österreich 250 Mio. Euro. Alle diese Haushaltsbewegungen müssen miteinander verrechnet werden, um die Auswirkungen per Saldo beurteilen zu können.

Bis zu 40 Prozent Umschichtung von den Direktzahlungen in die ländliche Entwicklung

Deutlich erweitert haben die Staats- und Regierungschef den Spielraum der Mitgliedstaaten zur Umverteilung der Gelder zwischen der ersten und zweiten Säule.

Bisher war vorgesehen, dass die Regierungen bis zu 15 Prozent der nationalen Obergrenze zwischen den Säulen verschieben können. Nun sollen bis zu 25 Prozent in beide Richtungen umgeschichtet werden dürfen. Sofern die Mittel für spezifische umwelt- und klimabezogene Ziele eingesetzt werden, sollen sogar bis zu 40 Prozent Umschichtung aus der ersten in die zweite Säule transferiert werden dürfen.

Der erweiterte Spielraum könnte zur Folge haben, dass die Direktzahlungen trotz der Konvergenzbemühungen deutlich weiter auseinanderdriften als bisher.

Der MFR-Beschluss bedarf der Zustimmung durch das Europäische Parlament, der Wiederaufbaufonds nicht.

DBV-Präsident Rukwied begrüßt Planungsgrundlage

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, begrüßte die Entscheidung über den MFR. Rukwied stellte fest, damit habe die Landwirtschaft nun eine Planungsgrundlage. Die EU habe Handlungsfähigkeit bewiesen.

Kritisch bewertete Rukwied die Tatsache, dass die einzelnen Mitgliedstaaten mehr Möglichkeiten für nationale Sonderwege bekämen und damit die Gefahr von gravierenden Wettbewerbsverzerrungen weiter wachse. Der DBV-Präsident appelliert an das Europäische Parlament, diesen Punkt aufzugreifen und für mehr Gemeinsamkeit in der EU-Agrarpolitik zu sorgen.

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