Kaum ein gutes Haar haben die Sachverständigen am Gesetzesentwurf der Ampelregierung gelassen, um ein verpflichtendes Tierhaltungskennzeichen für Schweinefleisch einzuführen. Bei der Anhörung am Montag (16.01.) im Agrarausschuss des Bundestags haben fast alle deutliche Änderungen angemahnt. Sie müssten in den weiteren Beratungen umgesetzt werden, sonst bestehe die Gefahr eines Flops, appellierten die meisten Sachverständigen an die Abgeordneten.
Komme die Kennzeichnungspflicht für Schweinefleisch in dieser Form, ist es nach Ansicht von Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der „Initiative Tierwohl“ (ITW), ein Rückschritt für 13.000 Landwirte, die an der ITW teilnehmen. Er warnte davor, dass bestehende Label, wie „Initiative Tierwohl“ und die „Haltungsform-Kennzeichnung“, vom staatlichen Label verdrängt würden, und damit auch die entsprechenden Finanzmittel für den Umbau de Tierhaltung verloren gingen. In einer Forsa-Befragung aus dem Sommer 2022 gaben 68 Prozent der befragten Verbraucher an, diese Haltungsform-Kennzeichnung zu kennen.
Fehlende Bereiche angemahnt
Hinrichs hielt zwar eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln für wichtig, er vermisst aber „den wichtigen Bereich der Gastronomie komplett“. Ebenso seien be- und verarbeitete Waren wie Wurst und mariniertes Fleisch nicht mit einbezogen. Damit würden schätzungsweise zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes in Deutschland kennzeichnungsfrei bleiben. „Um den Umbau der Schweinehaltung zu finanzieren, müsste Frischfleisch dann so teuer werden, dass die Verbraucher lieber auf günstiger ausländische Ware zurückgriffen“, so der Experte.
Biostufe diskriminiert Konventionelle
Ebenso wie Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) und Neuland-Schweinehalter in Niedersachsen, forderte er, auch die Sauenhalter in die Haltungskennzeichnung einzubeziehen.
Schulz hält es zudem für wichtig, in der Haltungsstufe 3 (Frischluftstall) auch die Stroheinstreu für Liegeflächen und Buchtgröße vorzuschreiben. Aus seiner Sicht diskriminiere eine eigene Biostufe (Stufe 5) konventionelle Landwirte. „Diese könnten auch hohe Tierhaltungsstandards wie Biobauern erfüllen“, argumentierte er, „dürften aber nicht in die Biostufe“. Er schlug vor, die Premiumsegmente der Stufen 4 (Auslauf/Freiluft) und 5 zu einer Stufe zusammenzufassen.
„Ein reines Einsortieren der Tierhaltung in bestimmte Kategorien erzeugt noch keinen Anreiz für Tierhalter, ihre Ställe in artgerechtere Haltungssysteme umzubauen“, sagte Schulz. Dazu brauche es vor allem auch finanzielle Anreize und die Unterstützung bei der Entwicklung eines entsprechenden Marktes. Seine Erfahrungen beim Neuland-Programm zeigten zwar, dass eine Tierhaltung mit wesentlich besseren Tierwohlbedingungen in artgerechten Stallsystemen auch wirtschaftlich funktionieren könne.
Dennoch befinde sich das Neuland-Programm wie auch Ökofleisch nach wie vor in einer Marktnische. Alleine aus dem Markt heraus wird der Umbau der gesamten Tierhaltung finanziell nicht gelingen“, so der Praktiker.
Gesetz sorgt für gezielten Abbau der Bestände
Ähnlich wie Schulz sieht Nora Hammer, Geschäftsführerin Bundesverband Rind und Schwein, die Regierungspläne als „zu einseitig“. So sollen “künftig nur noch Bio-, Neuland- und Tierschutzbund-Betriebe unterstützt werden“, bemängelte sie. Diese Betriebe machten jedoch lediglich ein Prozent der Schweinproduktion in Deutschland aus. Keine Perspektiven bekämen dagegen die konventionellen Schweinehalter. Das könne nicht mit einer bundesweiten Nutztierstrategie gewollt sein, wenn man tierische Produkte für alle bezahlbaren und verfügbar sein sollen.
Dirk Hesse, Sprecher der Initiative Schweinehaltung Deutschland (ISD), befürchtet mit dem Gesetzesvorhaben einen gezielten Abbau der deutschen Tierbestände. „Es ist ein Irrglaube, das ein Zugang der Schweine zur Natur automatisch für mehr Tierwohl sorgt“, warnte der ISD-Sprecher. Zudem erwarte er noch mehr Bürokratie und höhere Kosten für Schweinehalter. Schon jetzt liegen laut Hesse die Produktionskosten des deutschen Schweinefleisches im weltweit oberen Drittel, besonders wegen der gesetzlichen Haltungsvorgaben. Bereits heute stammten über 28 Prozent des verzehrten Schweinefleisches aus Importen. In Deutschland sei die Zahl der geschlachteten Mastschweine in den letzten sieben Jahren um mehr als 17 Prozent gesunken, mit noch stärker sinkender Tendenz.
Große Schwächen bei Kontrollen
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, bewertete die Haltungskennzeichnung zwar als Schlüsselbaustein für den Umbau, dieser müsste aber durch Anpassungen im Baurecht und eine gesicherte Finanzierung ergänzt werden. Ähnlich wie seine Vorredner machte er wesentliche Schwachstellen im Gesetzesentwurf aus, vor allem bei den Kontrollen. So forderte er, das staatliche Kennzeichen stärker mit den privatwirtschaftlichen Programmen zu verzahnen. Seiner Meinung nach funktioniere geplante Kontrollen über amtliche Lebensmittelkontrolleure und Veterinäre so nicht, zumal sie auch noch unterschiedlich in den Ländern umgesetzt werden könnten. „Die Verwaltung ist hier überfordert“, so Krüsken. Er warnt vor große Schlupflöchern für die freiwillige Kennzeichnung von ausländischer Ware. Verarbeiter könnte sich dieser Kontrolle entziehen, wenn sie beispielsweise einen Verarbeitungsschritt ins europäische Ausland verlagerten. „Das ist völlig inakzeptabel“, so der DBV-Vertreter. Er sieht hier einen wesentlichen Angriffspunkt für Kritiker, das staatliche Label „auseinanderzunehmen“. Das Verbrauchervertrauen wäre dann dahin. Seiner Meinung nach sollte die Regierung die Kontrollen an private Kontrollorganisationen übertragen.
Haltungsstufen anpassen
Ähnlich sah dies auch Anne Hamester, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft des Vereins Provieh. Staatliche Veterinäre kämen im Schnitt nur alle zehn Jahre auf die Betriebe, bei der ITW erfolge die Kontrolle dagegen zweimal jährlich, so die Tierschützerin. So leide die Vertrauenswürdigkeit des staatlichen Labels. Zudem verlangt sie Änderungen an den Haltungsstufen. Beispielsweise sollte satt der Haltungsstufe 2 „Stall und Platz“ nach dem gesetzlichen Mindeststandard die Haltungsform, „Frischluftstall“ folgen. Danach solle die Haltungsform ,,Auslaufstall„ als dritte Haltungsform folgen, in dieser Stufe sei nur die Stallhaltung mit angegliedertem Auslauf enthalten. Als zusätzliche Haltungsform solle “Freiland„ statt sie in die Haltungsform “Auslauf /Freiland„ zu integrieren.
Professor Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit (FLI), stellte klar, dass der Regierungsentwurf in erster Linie auf Verbraucherschutz und nicht aufs Tierwohl abziele. Eine freiwillige Kennzeichnung hätte aus rechtlicher Sicht deutlich mehr Tierwohlkriterien erlaubt, als eine verpflichtende. Das Zuordnen in fünf Haltungsstufen sei „sehr formalistisch“ und greife zu kurz. Allerdings ließen sich diese Kriterien in den entsprechenden Förderbedingungen „nachholen“. Vor allem für Schweine- und Geflügelhalter hält Schrader die zugesicherte Finanzierung für den Stallumbau über 10 Jahre zu kurz. Er forderte die Abgeordneten auf, für längere Zeiträume zu sorgen. Dagegen könnte für Rinderställe der Zeitraum ausreichen, wenn der Gesetzgeber wie geplant die Kennzeichnungspflicht auf weitere Tierarten ausweite. Auch sei es möglich, über Verordnungen weitere Bereiche wie Schlachtung, Transport oder Gastronomie einzubeziehen.
Keine Doppelbürokratie für Biobauern
Wenig Probleme mit dem Gesetzesentwurf hat indes die Biobranche. Das machte Peter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), deutlich. Er befürwortete die eigene Haltungsstufe Bio. Bereits bei der Eierkennzeichnung sei sie erfolgreich. „Zudem erspart eine eigene Stufe den Bio-Tierhaltern in Deutschland eine unsinnige Doppelbürokratie“, so der BÖLW-Vorstand. Er appellierte an die Bundestagsabgeordneten, das vorliegende Gesetz “ rasch auf den Weg zu bringen. Im nächsten Schritt müssten fehlende Lebensphasen beim Schwein und weitere Tierarten müssen zügig verbindlich geregelt werden, ebenso seien verarbeitete Produkte und Außerhausverpflegung in die Kennzeichnung einzubeziehen.
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