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Krieg in der Ukraine: Exklusiver Bericht

Ukraine: Zwei deutsche Landwirte berichten über ihren Betrieb bei Lviv

Tim Nandelstädt und Torben Reelfs vor einer ihrer Ackerflächen
am Freitag, 04.03.2022 - 05:00 (2 Kommentare)

Nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine haben Torben Reelfs und Tim Nandelstädt ihren Hof im Westteil des Landes verlassen. Die Lage der Landwirte im Dorf der Oblast Lviv schilderte Torben Reelfs agrarheute telefonisch.

Seit mittlerweile 13 Jahren bringt der Ackerbaubetrieb von Torben Reelfs und Tim Nandelstädt südlich der Stadt Lviv die Einkommenssicherung von einheimischen Familien und die landwirtschaftliche Produktion auf weitläufigen Ackerflächen voran. 1.900 Hektar werden hier mit Winterweizen, Wintergerste, Raps, Zuckerrüben, Körnermais und Soja bestellt. Als die Studienkollegen damals das Unternehmen gründeten, herrschte im ganzen Land Aufbruchstimmung. Ihr Betrieb brachte Leben ins Dorf und auf die nicht genutzten Ackerflächen. 

Anstatt in die Existenz der Ukrainer vor Ort und in die Zukunft des Betriebs fließt die Kraft der beiden deutschen Landwirte und ihrer Mitarbeiter jetzt in Maßnahmen, die alles andere als Optimismus, Verbesserung und eigene Gestaltung versprechen. Dreh- und Angelpunkt für alle Entscheidungen ist nun der Krieg. Torben Reelfs berichtet, was das für den Betrieb bedeutet.

Mitarbeiter in der Ukraine machen weiter

Mit zwei befreundeten Landwirten und ihrem deutschen Betriebsleiter kamen Torben und Tim am Freitag in Deutschland an. Noch am Tag der Invasion durch das russische Militär brachen die fünf Richtung Polen auf. Am Morgen habe der Betriebsleiter laut Reelfs gesehen, wie ein Marschflugkörper über seine Flächen hinweg zog und in ein nahegelegenes Militärobjekt einschlug.

Ihren 25 Beschäftigten haben die beiden freigestellt, ob sie die Arbeit im Betrieb weiterführen. Ohne eine agronomische Leitung vor Ort gehen die Mitarbeiter derzeit den Tätigkeiten nach, die ihnen möglich sind. So habe der Betrieb noch Dünger kaufen können, der Anfang der Woche von den Mitarbeitern gestreut worden sei. Die Dieselvorräte belaufen sich noch auf etwa 5.000 Liter und konnten laut Reelfs noch nicht wieder aufgefüllt werden. Ohnehin rechne er damit, dass das ukrainische Militär auf die landwirtschaftlichen Betriebe zukommen und um die Bereitstellung von Diesel bitten wird.

Dorfbewohner wollen Ukraine verteidigen

Das Betriebskonto haben Torben und Tim inzwischen geleert, um die Beschaffung von Hilfsgütern, beispielsweise Medikamente oder Stromgeneratoren, zu unterstützen. Außerdem haben sie 120 Tonnen Weizen zu Mehl verarbeitet und in die Kriegsgebiete gespendet. „Wir machen als ausländische Investoren voll mit“, sagt der Landwirt aus Ostfriesland. Niemand im Betrieb und im Dorf wolle die Ukraine und ihre Unabhängigkeit aufgeben, die sich im Jahr 2004 erkämpft hat.

Es sei unter den Bewohnern eine „erstaunliche Bereitschaft“ vorhanden, ihr Dorf zu beschützen. Fast alle Einwohner haben sich entschlossen, im Dorf zu bleiben und alle Kräfte zu bündeln, berichtet Reelfs. So würden Betonblöcke transportiert, um Routen von Panzern zu blockieren. Weiter hätten die Menschen Wachposten mit vierstündigen Schichten eingerichtet, die russische Soldaten vom Dorf fernhalten sollen. Panzersperren wurden in der Betriebswerkstatt zusammengeschweißt. Ein RTK-Empfänger, den sie zur GPS-Steuerung ihrer Landtechnik genutzt haben, nahmen sie außer Betrieb, um den Austausch von Signalen durch das russische Militär zu verhindern.

Unterstützung des ukrainischen Militärs als einziger Weg

Reelfs erzählt, dass sich die sonst schwierige, moralische Frage danach, ob eine Unterstützung des Militärs durch Spenden richtig ist, nicht mehr stellt. Es müsse außerdem bedacht werden, dass jede jetzt in die Ukraine gelieferte Waffe gegen eine Ausbreitung des Krieges Richtung Westen helfe. Für Reelfs ist die Unterstützung des ukrainischen Militärs deshalb sinnvoll. Auch das Ausreiseverbot für männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren, das der ukrainische Präsident Selenski erteilt hat, sei eine logische Entscheidung, erklärt Reelfs.

Über Putins Angriffskrieg zeigt sich der Agrarökonom verständnis- und fassungslos: „Die Ukraine hat alles zu verlieren. Sie hat sich die Demokratie in den letzten 30 Jahren erkämpft. Russland dagegen hat wenig dazuzugewinnen.“

Bitte um Hilfe aus Deutschland

Neben den Mitarbeitern ihres Betriebs stehen Torben und Tim gerade ständig in Kontakt mit einem Netzwerk aus Unterstützern. Sie rufen dazu auf, Hilfe für die Menschen in der Ukraine und für aus der Ukraine Geflüchtete zu leisten. Mit dem Verein Kultus e. V. stehen sie besonders in Verbindung. Er vermittelt Unterkünfte für Geflüchtete und verteilt Sach- und Geldspenden direkt in der Ukraine. Wer diesen Weg nutzen möchte, um zu helfen, findet hier alle Informationen über das Projekt.

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