Eine Studie der Grünen im Europäischen Parlament erhebt Vorwürfe gegen die Umsetzung der EU-Agrarförderung in Bulgarien, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn und spricht von „Misswirtschaft“, Interessenskonflikten und Fällen von Korruption. In der Slowakei wurde sogar ein Journalist ermordet, der Betrugsfälle aufgedeckt hat.
Die Vorwürfe sind gravierend: Der Bericht der Grünen vom Februar 2021 warnt, dass die Umsetzung der EU-Agrarbeihilfen in Bulgarien, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Ungarn „hochgradig problematisch“ sei. So würden kleine Betriebe gegenüber großen nicht nur systematisch benachteiligt. Interessenskonflikte zwischen politischen Entscheidungsträgern und den wichtigsten Beihilfeempfängern seien an der Tagesordnung, Transparenz und öffentliche Kontrollen hingegen zu schwach. In einigen Fällen gebe es zudem klare Anzeichen für Betrug.
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Bulgarien: große Betriebe
Bulgarien ist – nach Tschechien der Slowakei und Dänemark – laut Eurostat das Land mit dem vierthöchsten Anteil an Agrarflächen, die von Betrieben mit über 500.000 € Umsatz bewirtschaftet werden. Knapp 50% waren es im Jahr 2016. Rund 45 % der gesamten EU-Direktbeihilfen für Bulgarien wären, so der Bericht der Grünen, im Finanzjahr 2018 an nur 2,4 % der Beihilfeempfänger gegangen. Auch Schwiegervater und Schwägerin der Landwirtschaftsministerin Dessislawa Taneva hätten zusammen über 500.000 € an EU-Agrarbeihilfen erhalten. Das Landwirtschaftsministerium habe dies bestätigt, sehe darin aber keinen Interessenskonflikt.
Hohe Fehlerquote bei beihilfefähigen Flächen in Bulgarien
Der Bericht weist darauf hin, dass Vertreter der bulgarischen Regierung nach Kontrollen von rund 22.000 ha landwirtschaftlicher Fläche auf ihre Beihilfefähigkeit, eine durchschnittliche Fehlerquote bei der Antragsstellung von 10 % ermittelt hätten. Die Studie verweist auf die bulgarische Nachrichtenseite bivol.bg, welcher Informationen vorlägen, wonach ein wesentlicher Anteil der Agrarflächen, für die EU-Beihilfen bewilligt worden seien, überhaupt nicht bewirtschaftet würde. Fälschlicherweise vergebene Gelder würden von der bulgarischen Verwaltung zurückgefordert und unter den Betrieben mit korrekter Antragsstellung verteilt. In einem verdeckt aufgenommenen Video auf bivol.bg erklärt Ministerin Taneva dem Vertreter einer Vereinigung bulgarischer Paprikaproduzenten auf seine Frage, wieso die Zahlungen so viel höher als erwartet ausgefallen seien: „Ich schlage vor, dass wir dabei bleiben zu sagen, dass es keinen Betrug gibt und, dass alles in Ordnung ist.“ Ansonsten sei die Gefahr groß, dass die EU die Beihilfen kürzen würde.
Bivol.bg gegenüber erklärte Georgi Vassilev von der Vereinigung bulgarischer Paprikaproduzenten: „Sechzig Prozent der Antragssteller belügen die Regierung mit Hilfe des Landwirtschaftsministeriums.“ Öffentliche Stellen wüssten das und seien von seiner Vereinigung jedes Jahr darauf hingewiesen worden.
Fragen auch bei ländlicher Entwicklung
Auch im Bereich der Ländlichen Entwicklung in Bulgarien verweist der Bericht der Grünen auf Probleme. Im Jahr 2015 hätten die Behörden die Genehmigung erteilt, den Bau von Pensionen mit jeweils bis zu 200.000 € zu fördern. Insgesamt 288 Häuser seien auf diese Weise mit EU-Mitteln errichtet worden. Spätere Kontrollen hätten herausgefunden, dass die Beihilfen in nur 23 Fällen komplett gerechtfertigt gewesen seien. In 158 Fällen hätten die Beihilfen sogar vollständig zurückgezahlt werden müssen. Es handelt sich um eine Summe von insgesamt umgerechnet über 20 Millionen Euro.
Tschechien hat im Durchschnitt die größten Agrarbetriebe in der EU, mit rechnerisch jeweils 133 ha im Jahr 2016. Der Bericht der Grünen betont, dass das nicht automatisch schlecht sein muss. Allerdings verweist er darauf, dass Premierminister Andrej Babis mit seiner Holdinggesellschaft Agrofert rund 115.000 ha bewirtschaftet und im Jahr 2019 63 Millionen € an EU-Agrarförderung erhalten hat. Die Studie unterstreicht, dass es bislang keinen Fall gegeben habe, in dem der Premierminister nachweislich seinen Einfluss geltend gemacht habe, um Vergünstigungen bei der Beihilfevergabe zu erhalten. Dennoch sei ein Interessenskonflikt zwischen der Umsetzung der EU-Agrarpolitik in Tschechien und den wirtschaftlichen Interessen des Premierministers möglich.
Zwar habe der Premierminister die Kontrolle von Agrofert an zwei Gesellschaften weitergegeben. Dennoch sei er weiterhin der maßgebliche Nutznießer des Unternehmens. Im Februar 2017 hatten die tschechischen Behörden als Vorsichtsmaßnahme die Auszahlung von Agrarbeihilfen aus der ländlichen Entwicklung – nicht jedoch den Direktzahlungen – an zwei Unternehmen des Landwirtschaftsministers Miroslav Toman ausgesetzt, diese seien jedoch, nach einer externen Untersuchung, im November 2019 fortgesetzt worden.
Kritik vom EU-Parlament an Premierminister Andrej Babis
In einer Resolution vom Juni 2021 forderten die Abgeordneten des EU-Parlaments den Interessenskonflikt von Premierminister Babis und seiner Agrofert Holding aufzulösen. Wörtlich heißt es dazu in der Resolution: „Ein Interessenkonflikt auf höchster Regierungsebene eines Mitgliedstaats kann nicht toleriert werden kann und muss vollständig bewältigt werden.“
Ungarn: EU-Agrarförderung als politisches Machtmittel?
In Ungarn, so der Bericht weiter, würde die Verpachtung von staatlichem Land und die damit verbundenen Agrarbeihilfen genutzt, um politischen Verbündeten Vorteile zu verschaffen und die Machtbasis der Regierung auszuweiten. Vergabekriterien bei öffentlichen Ausschreibungen seien hier so vage, dass Spielraum für politische Einflussnahme bestehe. Seit 2017 unterstehe die Zahlstelle für EU-Beihilfen zudem dem Büro des Premierministers.
So sei beispielsweise ein enger Verbündeter von Premierminister Viktor Orban zwischen 2010 und 2014 zum wichtigsten Agrarinvestor Ungarns aufgestiegen. Nach einem Zerwürfnis mit Orban im Jahr 2015 sei dessen Position aber beständig schwächer geworden. 2018 habe er dann seine agrarischen Unternehmungen aufgeben müssen, obwohl er bis dahin einer der erfolgreichsten Agrarinvestoren des Landes war. Ein anderer enger Freund Orbans, der noch 2010 nichts mit Landwirtschaft zu tun gehabt habe, sei mittlerweile einer der größten Grundbesitzer des Landes und kontrolliere rund 38.000 ha.
Slowakei: Betrugsfälle bei Förderanträgen
In der Slowakei – dem Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat – sind laut dem Bericht betrügerische Anträge und Auszahlungen von EU-Agrarbeihilfen „weit verbreitet“, auch wenn sich die Häufigkeit zwischen den Regionen unterscheide. So gebe es Fälle von Förderanträgen für Agrarland, das den Antragsstellern nicht gehöre oder nicht förderfähig sei oder mehrfache Antragsstellungen für die gleiche Fläche. Entscheidend sei hierbei die Kooperation mit dem slowakischen Bodenfonds, einem Gegenstück zur deutschen Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG). Betrüger konnten hier in Erfahrung bringen, für welche Agrarflächen keine Förderung beantragt wurde und diese Förderung gefahrlos beantragen. Bei der Antragsstellung sei kein Nachweis des Grundeigentums erforderlich, lediglich die Erklärung, diese Flächen landwirtschaftlich zu nutzen. Teilweise sei Druck auf die Landwirte ausgeübt worden, welche die Flächen eigentlich bewirtschaften, damit diese auf die Antragsstellung verzichten.
Die Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung der Agrarbeihilfen in der Slowakei wurden zuerst vom Journalisten Ján Kuciak enthüllt, der im Februar 2018 ermordet wurde. In der Folge kam es im Juli 2018 zu Bauernprotesten in der Hauptstadt Bratislava und drei Untersuchungen durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF). Letztere kamen zum Ergebnis, dass es verschiedene Schwächen bei der Kontrolle und Umsetzung der EU-Direktbeihilfen in der Slowakei gebe. Der Bericht der Grünen verweist auf ähnliche Schlussfolgerungen des obersten Rechnungshofes der Slowakei. Im Juni 2021 hat der oberste Gerichtshof der Slowakei zwei Freisprüche gegen mutmaßliche Drahtzieher des Mordes an Kuciak und seiner Verlobten aufgehoben und angeordnet, dass der Prozess komplett neu aufgerollt werden muss.
Reformen in Slowakei begonnen, aber schwierig
Eine Reform der Auszahlungsbehörde für Agrarbeihilfen des Landes sei begonnen aber längst noch nicht abgeschlossen worden. Eine unabhängige Untersuchung der slowakischen Auszahlungsbehörde durch das Auditunternehmen PwC vom Januar 2021 habe unter anderem festgestellt, dass es im Jahr 2019 insgesamt 1249 mehrfache Antragsstellung auf Beihilfen für die gleichen Flächen gegeben habe – 2020 lag die Zahl immer noch bei 1205. Laut dem Bericht der Grünen gebe es sogar Überlegungen, die Auszahlung der Beihilfen in Zukunft durch die entsprechenden Behörden Tschechiens oder Österreichs durchführen zu lassen.
Rumänien: Schwierigkeiten bei Rückgabe von Staatsland
Für Rumänien verweist der Bericht auf eine unvollständige Rückgabe von verstaatlichtem Land an dessen frühere Eigentümer. So habe es zwar einen entsprechenden Prozess gegeben, dieser sein zunächst jedoch auch die Rückgabe von maximal 10 ha beschränkt gewesen. Erst in den 2000er Jahren sei diese Obergrenze auf 50 ha pro Familie angehoben worden, gleichzeitig sei der Staat nicht länger dazu verpflichtet worden, den Eigentümern den ursprünglichen Besitz zurückzugeben. Erschwert worden sei der Prozess zudem, weil lokale Kommissionen die Rückgaben geprüft und durchgeführt hätten, es dabei aber wenig transparent zugegangen sei. Ein nationales Landkataster gebe es erst seit 2015 und noch 2019 seien davon nicht alle Flächen in Rumänien erfasst.
Hoher Anteil ausländischer Investoren in Rumänien
In der Folge hätten Investoren teilweise sehr günstig Agrarland kaufen können. Laut einer rumänischen Studie im Auftrag der EU-Kommission aus dem Jahr 2015 seien rund 40 % der Agrarflächen des Landes – etwa 6 Mio. ha – im Besitz von Ausländern, 10 % davon von außerhalb der EU. Zu diesen Investoren gehört unter anderem die Al Dahra-Gruppe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, welche laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters aus 2018 bereits Eigentümer der größten rumänischen Agrarbetriebe sei. Zwar ist der Erwerb von Land auch durch ausländische Investoren legal, allerdings machten Landkäufe durch große Investoren es kleineren rumänischen Betrieben schwer, an Flächen zu kommen. Zwischen 2016 und 2019 habe sich der durchschnittliche Bodenpreis von 1958 €/ha auf 5128 €/ha mehr als verdoppelt.
Rumänien kämpft gegen Korruption
Laut Europäischem Amt für Betrugsbekämpfung würden von rumänischen Behörden mehr Betrugsfälle mit EU-Agrargeldern gemeldet als in anderen EU-Staaten. Die nationale Antikorruptionsbehörde haben in den Jahren von 2015 bis 2018 Betrugsfälle mit einem Gesamtvolumen von umgerechnet rund 100 Millionen € untersucht. Bei 90 % davon sei es um EU-Gelder gegangen. Die rumänische Regierung unter Präsident Klaus Ioannis hat sich den Kampf gegen Korruption als ein wesentliches Thema auf die Fahnen geschrieben. Allerdings besteht hier auch Handlungsbedarf: Laut einer Untersuchung von Transparency International hätten im Jahr 2020 rund 20 % der Nutzer von öffentlichen Dienstleistungen Bestechungsgelder bezahlt, der höchste Wert in der EU.
Offizielle Reaktionen: Großes Bemühen um klarere Abwicklung
Auf die Vorwürfe aus dem Bericht der Grünen reagiert die EU-Kommission mit einer allgemeinen Antwort, dass sie den Kampf gegen Korruption sehr ernst nehme. Für die Umsetzung der EU-Agrarpolitik und die Auszahlung der Beihilfen seien vor allem die EU-Staaten verantwortlich. Diese werde auf EU-Ebene kontrolliert. Die Kommission habe zudem Maßnahmen vorgeschlagen, den Kampf gegen Korruption zu intensivieren. Schließlich ziele auch die neue Gemeinsame Agrapolitik, deren Details derzeit noch verhandelt würden, darauf ab, EU-Mittel fairer zu verteilen und so Anreize für Missbrauch zu reduzieren. Verbessert werden solle auch die Transparenz darüber, wer von EU-Fördermitteln profitiere.
Ein Sprecher des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) erklärte gegenüber agrarheute, dass man in allen EU-Staaten Fälle von Betrug, Korruption, Interessenskonflikten, Manipulation bei öffentlichen Ausschreibungen und Geldwäsche feststelle. So wurde beispielsweise ein Subventionsbetrug in Rumänien aufgedeckt, gegen den sowohl europäische, rumänische als auch italienische Behörden ermittelt haben. Personen mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen in Italien hätten mit Hilfe von Holding-Unternehmen und gefälschten Dokumenten EU-Direktzahlungen in Höhe von 850.000 € erhalten, ohne einen einzigen Hektar bewirtschaftet zu haben. Bislang seien von diesen Geldern über 215.000 € wieder beschlagnahmt worden. Multinationale Ermittlerteams seien laut OLAF ein häufig genutzter und effektiver Weg, um Betrugsfälle aufzudecken.
Slowakei unterstreicht Reformanstrengungen
Aus der Slowakei erklärte ein Sprecher des Agrarressorts: „Die aktuelle Regierung, welche aus den Wahlen von 2020 hervorgegangen ist, verfügt über ein starkes Mandat, insbesondere im Kampf gegen Korruption. Der ermordete Journalist Ján Kuciak hat wiederholt über diese Fälle berichtet. Bis heute dauern die polizeilichen Untersuchungen, Verhaftungen und Strafverfolgungen von Personen an, die unter dem Verdacht stehen, sich widerrechtlich an Beihilfen bereichert zu haben. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 2020 haben umfangreiche personelle Veränderungen in der Auszahlungsbehörde der Slowakei stattgefunden. Unter der Kontrolle der EU-Kommission findet eine rigoroser Neuaufbau und eine Digitalisierung der Prozesse statt. Das Ziel der aktuellen Leitung des Landwirtschaftsministeriums der Slowakei ist es, sowohl die Bewerbung um als auch die Bewilligung von Beihilfen auf Basis objektiver Kriterien durchzuführen, damit der Missbrauch europäischer Gelder und das mögliche Risiko von Korruption bei Antragsstellern und bei zuständigen Behörden soweit als möglich minimiert werden.“
Aus Tschechien äußerte sich ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, dass das Fördersystem im Lande transparent sei. Zu weiteren Vorwürfen nehme man derzeit nicht Stellung. Anfragen von agrarheute an die Landwirtschaftsministerien von Bulgarien, Ungarn und Rumänien blieben bislang unbeantwortet.
Gegen keine der in diesem Beitrag genannten Personen liegt zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ein rechtskräftiges Urteil oder ein Strafverfahren wegen Betrugs in Zusammenhang mit EU-Beihilfen vor. Der vollständige Bericht der Grünen im Europaparlament „Where does the EU money go?“ ist in englischer Sprache auf der Internet- Seite der Fraktion verfügbar.
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