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Kommentar

Wie viele Wölfe gibt es wirklich in Deutschland?

Wolfsrudel
am Montag, 25.11.2019 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Die FDP wollte in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung Genaueres zum hiesigen Wolfsbestand wissen. Die Bundesregierung windet sich. "Seriöse" Zahlen könne man nicht nennen. agrarheute-Redakteurin Sabine Leopold findet auch: Die genannten Zahlen sind unseriös. Ein Kommentar.

Beim Thema Wolf scheiden sich in Deutschland nach wie vor die Geister. Die einen freuen sich über jedes neu registrierte Tier, die anderen halten die Population bereits jetzt für zu hoch.

Um dem Ganzen eine sachliche Grundlage zu verschaffen, wäre es gut, verlässliche Zahlen zu haben. Aus diesem Grund hat die FDP-Fraktion am 18. Oktober eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Es ging dabei um Bestandszahlen und -entwicklung, um Meldezeiträume und auffällige Wölfe.

Maximal 133 erwachsene Wölfe in Deutschland?

Die FDP hatte beispielsweise wissen wollen, wie viele Wölfe Deutschland im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat(FFH)-Richtlinie für den Zeitraum 2013 bis 2018 an die EU gemeldet habe.

Hintergrund dieser Frage: Laut FFH-Richtline reichen bei einem isolierten Wolfsbestand 1.000 geschlechtsreife Tiere für einen sogenannten "günstigen Erhaltungszustand" aus. Bei einer Population wie der hiesigen, die sich mit den Wölfen in Polen genetisch austauscht, genügen sogar schon 250 erwachsene Wölfe.

Die Schätzungen weichen massiv voneinander ab

Deutschland hatte ein Maximum von 133 geschlechtsreifen Tieren für die kontinentale biogeografische Region hierzulande nach Brüssel gemeldet (abgesehen vom äußersten Nordwesten und den Alpen gehört ganz Deutschland zu dieser Region).

Diese Zahl wollte die FDP erklärt haben. Immerhin, so der FDP-Bundestagsabgeordnete Karlheinz Busen in der Diskussion, habe das Bundesumweltministerium für 2018 bereits weit höhere Zahlen veröffentlicht. Der Deutsche Jagdverband (DJV) gehe inzwischen sogar von weit über 1.000 Wölfen aus (Anm. d. Red.: Jungtiere eingerechnet). Diese Diskrepanz gelte es zu klären.

Die Antwort der Bundesregierung lässt sich grob zusammenfassen mit: Es ist eben kompliziert.

Das Monitoring erfasst nur Territorien, keine Tierzahlen

Man könne die Individuenanzahl nicht seriös abschätzen, heißt es von Regierungsseite, weil beim bundesweiten Wolfsmonitoring durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) nur durch Wölfe besetzte Territorien erfasst werden. Ein solches Territorium kann von einem Einzelwolf, einem Paar oder einem Rudel eingenommen worden sein.

Und tatsächlich geben die Zahlen der DBBW nur diese relativ grobe Information her. Für das Berichtsjahr 2016/2017 (das für die Meldung nach Brüssel herangezogen wurde) erfasste die DBBW 60 Rudel, 23 Paare und drei Einzeltiere.

Die Paare allein machen also bereits 46 Tiere aus. Zieht man sie und die drei territorialen Einzelgänger von den 133 gemeldeten Wölfen ab, bleiben 84 erwachsene Tiere, also 1,4 je Rudel. Das geht deutlich an der Realität vorbei. Selbst unter Einbeziehung der Tatsache, dass einige vereinzelte Wolfsterritorien hierzulande nicht in der kontinentalen Region liegen und diese Tiere deshalb nicht mitgezählt wurden, sind die Angaben des Bundes an die EU zweifelhaft.

Zahlen von 2016/17 für 2018 angesetzt

Wolfsexperten gehen davon aus, dass ein Rudel jeweils aus einem dominanten Elternpaar und Jungtieren aus den Würfen des laufenden und bis zu zwei vergangenen Jahren besteht. Bei Erreichen der Geschlechtsreife sucht sich der Nachwuchs in der Regel eigene Territorien.

Die Annahme, dass rund die Hälfte der Rudel nur noch von einem ausgewachsenen Elterntier geführt wird, lässt sich unter dem hierzulande gültigen absoluten Jagdverbot nicht begründen. Dazu kommt, dass die Zahlen der Saison 2016/17 nicht einfach für 2018 angenommen werden können. Die Populationsdaten des DBBW der vergangenen Jahre zeigen, dass die Wolfsterritorien jährlich um rund 30 Prozent zunehmen. Und die Nachwuchszahlen der Rudel untermauern das.

Wenn also zum Meldezeitpunkt (August 2018) die Daten des Monitoringjahres 2017/18 (endete am 30. April 2018) tatsächlich noch nicht abschließend vorlagen, wäre eine faktenbezogene Schätzung wohl deutlich näher an der Wahrheit gewesen als die Behauptung, zum Meldezeitpunkt habe es im deutschen Kontinentalterritorium maximal 133 geschlechtsreife Wölfe gegeben.

Zahlenjongliererei spricht für Abwiegeltaktik

Alles in allem konnte die Bundesregierung die Anfrage der FDP nur mäßig zufriedenstellend beantworten. Die Kombination minimaler Werte zur Schätzung eines Maximalbestandes spricht eher für eine gezielte Abwiegelung einer möglichen Wolfsproblematik in Deutschland als für eine wirklichkeitsnahe Darstellung der Situation.

Wenn weiterhin so gezählt wird, liegen Deutschlands Wölfe natürlich noch lange unter einem "günstigen Erhaltungszustand".

BMU hat Zugriff auf alle Daten

Dass dem federführenden Bundesumweltministerium (BMU) diese Diskrepanzen nicht bekannt sind, ist unwahrscheinlich. Schließlich gehören zu den Partnern der vom Senckenberg-Museum für Naturkunde geführten DBBW sowohl das BMU selbst als auch das Bundesamt für Naturschutz (BfN).

Das Ressort von Svenja Schulze sitzt also direkt an der Quelle – und hat jede Menge Fachleute zum Thema Wolf zur Verfügung. Und die haben unter anderem festgestellt, dass die Nutztierrisse durch Wölfe in Deutschland zwischen 2016 und 2017 um 66 Prozent zugenommen haben – ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, wie schnell die Polulation wächst und wie dringend ein faktenbasiertes Wolfsmanagement notwendig wäre.

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