Im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche fordert die Initiative "Wir haben es satt" einmal mehr eine "Agrarwende". Einer der zentralen Punkte dieses Konzepts: eine grundlegende Abkehr von der Exportorientierung der deutschen Landwirtschaft.
Damit sollen zum einen die hiesige "Massenproduktion" gestoppt und so die Beanspruchung von Boden, Wasser und Luft sowie unzureichende Haltungsbedingungen minimiert werden. Zum anderen seien EU-Exporte weitgehend dafür verantwortlich, dass Kleinerzeuger in Entwicklungsländern zunehmend ihren Marktzugang verlieren. Auch das sei künftig zu unterbinden.
Sind diese Schlussfolgerungen belegbar?
Exportnation Deutschland
Tatsächlich exportiert Deutschland einen erheblichen Teil seiner landwirtschaftlichen Produkte. 2019 lag nach Angaben der Welthandelsorganisation WTO der finanzielle Wert der ausgeführten Produkte bei rund 66,5 Mrd. Euro. Damit belegte Deutschland hinter den USA (112,2 Mrd. Euro) und den Niederlanden (75,9 Mrd. Euro) weltweit Platz 3.
Bis 2019 war jahrelang ein nahezu ungebrochenes Wachstum auf diesem Gebiet zu verzeichnen. 2020 gingen die Ausfuhren – vor allem coronabedingt – deutlich zurück, wie die gerade veröffentlichten Schätzungen der German Export Association for Food and Agriproducts (GEFA) zeigen. Danach hat Deutschland im vergangenen Jahr Agrarprodukte (Achtung: hier einschließlich Landtechnik!) im Wert von 78,4 Mrd. Euro exportiert. Das waren rund 2,3 Prozent weniger als 2019.
Hauptziel deutscher Agrarexporte ist mit rund 80 Prozent der Warenwerte nach wie vor die EU, doch auch in Drittländer wird kräftig ausgeführt. Hier stiegen die Exporte 2020 sogar (nach Asien um etwa 5,5 Prozent, nach Afrika sogar um 10,6 Prozent). Eine wichtige Rolle dürfte dabei unter anderem die Afrikanische Schweinepest (ASP) gespielt haben.
Importnation Deutschland
Die Agrarexporte allein stellen allerdings nur eine Seite der Medaille dar. Auch bei den Agrarimporten liegt Deutschland weltweit an dritter Stelle (siehe Grafik). Hinter den USA (130,9 Mrd. Euro) und China (112,7 Mrd. Euro) verzeichnete Deutschland 2019 Importe im Wert von etwa 81,1 Mrd. Euro. Damit sind wir bei Agrarprodukten Nettoimporteur mit einem Importüberschuss von rund 22 Prozent.
Unser Selbstversorgungsgrad (und damit die Frage, ob ex- oder importiert wird) ist stark abhängig vom Produkt. Deutliche Überschüsse erzeugt Deutschland (Stand 2019, Quellen: AMI, FAO, BMEL) bei:
- Zuckerrüben (153 Prozent),
- Kartoffeln (142 Prozent),
- Brotgetreide (113 Prozent),
- Schweinefleisch (119 Prozent),
- Magermilchpulver (375 Prozent) und
- Käse (126 Prozent).
Beim Brotgetreide nahm die Selbstversorgung seit 2008/09 massiv ab (von 138 auf 113 Prozent). Beim Schweinefleisch stieg sie im selben Zeitraum von 110 auf 119 Prozent.
Deutlich im Manko sind wir hingegen bei:
- Obst ohne Zitrusfrüchte (13 Prozent),
- Gemüse (38 Prozent) und
- Eiern (72 Prozent).
Besonders beim Obst ist die Lage prekär. Hier ist der Selbstversorgungsgrad von 2008/09 zu 2018 um ein Drittel von 21 auf 13 Prozent gesunken. Und Zitrusfrüchte, die hierzulande nicht wachsen, sind noch nicht einmal eingerechnet.
Versorgung ins Ausland verlegen?
Aber auch jenseits der Obstpalette greifen wir gern auf Produkte aus dem Nicht-EU-Ausland zurück. Bei Kartoffeln beispielsweise, bei denen unser Selbstversorgungsgrad über das Gesamtjahr gerechnet mehr als 40 Prozent Überschuss aufweist, kommt ein Großteil der im Frühjahr angebotenen Frischware aus Ländern wie Ägypten und Israel – aus Regionen also, in denen vor allem die Wasserversorgung stark limitiert ist.
Unser Agrarhandelsverhältnis weiter in Richtung Importe zu drehen, würde heißen, die Versorgung der Deutschen noch mehr nach außerhalb unserer Grenzen zu verlegen und dort Flächen und vor allem (oft knappes) Wasser für unsere Bedürfnisse zu binden. Gerade über letzteres verfügt Mitteleuropa trotz der Auswirkungen des Klimawandels aber vergleichsweise reichlich. Im Sinne einer globalen Versorgung ist es bedenklich, wenn sich ein Vorzugsstandort aus den Exporten zurückzieht, ohne seine Importe einzuschränken.
Problem Futtermittelversorgung
Nicht unproblematisch im Sinne der Nachhaltigkeit sind massive Futtermittelimporte zur Erzeugung eines Überangebotes an tierischen Produkten hierzulande. In der Kritik steht dabei vor allem Soja.
Doch zum einen ist das Extraktionsschrot, das in den Futterkrippen landet, nur ein Nebenprodukt der Ölproduktion. Und zum anderen bemühen sich deutsche Tierhalter auch jenseits des Ökobereichs seit Jahren, ihre Rationen aus heimischen Komponenten zu mischen.
Dem stehen allerdings stetig abnehmende Erntemengen beim Hauptsojaersatz Raps entgegen. Seit 2014 fallen vor allem dank der Pflanzenschutzmittelrestriktionen die Ernten hierzulande von Jahr zu Jahr niedriger aus (Winterraps: 6,2 Mio. t (2014) zu 3,5 Mio. t (2020)). 2018 lag unser Selbstversorgungsgrad bei Rapsprodukten gerade mal noch bei 41 Prozent. Das stellt auch Tierfütterer vor immer größere Probleme, was die Eiweißversorgung aus heimischen Quellen angeht.
Exporte bei Tierprodukten runterfahren?
Sollte Deutschland also einfach die tierische Erzeugung massiv herunterfahren und die Exporte vor allem in Entwicklungsländer einstellen? Immerhin liest man regelmäßig vom Vorwurf, billige Milch- und Fleischprodukte aus Europa machten die Märkte für einheimische Erzeuger kaputt und forcierten damit vor allem in afrikanischen Ländern die Armut.
Doch auch hier ist die Situation keinesfalls so eindeutig. Zum einen ist bei den hiesigen Erzeugerpreisen für viele Tierhalter eine Einschränkung der Produktion unmöglich. Und leider würde ein Verzicht auf Exporte nicht bedeuten, dass der Lebensmitteleinzelhandel künftig auch auf günstige Importe verzichtet. Unter den hiesigen Produktionskostenbedingungen würde ein Exportstopp wohl einen weitgehenden Zusammenbruch der Tierhaltung in Deutschland nach sich ziehen. Ob das im Sinne der Ressourcennutzung und der tiergerechten Haltung außerhalb unserer Kontrollmechanismen wäre, darf bezweifelt werden.
Wer produziert für afrikanische Städte?

Doch auch für die Zielländer unserer Fleisch- und Milchprodukteexporte ergäben sich massive Probleme.
In Afrika und Südostasien wachsen die Bevölkerungen. Und es steigen finanzielle Ausstattung und Urbanisierung. Immer mehr Menschen können und wollen sich vielfältiger, ausgewogener und reichlicher ernähren.
Allein in Afrika gibt es inzwischen rund 2,7 Mrd. Menschen (zum Vergleich: 1970 waren es erst knapp 0,4 Mrd.). Das rasante Bevölkerungswachstum findet vor allem in den Städten statt. 2015 zählte man auf dem Kontinent bereits 56 Millionenstädte. Ihre Anzahl dürfte seitdem noch deutlich gestiegen sein.
Dem gegenüber steht eine Landwirtschaft, die sich nur langsam aus der reinen Subsistenzwirtschaft herausentwickelt. Zum einen wachsen die Erträge unterdurchschnittlich langsam. Vor allem aber leidet das System unter schlechter, teils quasi nicht vorhandener Infrastruktur. Für eine Versorgung der wachsenden städtischen Bevölkerungen ist das ein unüberwindbares Hindernis – vor allem hinsichtlich leicht verderblicher tierischer Produkte. Weder ist von Millionen Stadtbürgern zu erwarten, dass sie sich in Produzentennähe mit Fleisch, Milch und Eiern versorgen, noch können Fleischverarbeiter und vor allem Molkereien landesweit Kleinstmengen einsammeln.
Erst Infrastrukturen errichten, dann Exporte einschränken
Fehlende Straßen, Transportmittel und allem voran Kühlkapazitäten versperren einheimischen Erzeugern also den Marktzugang, nicht die Konkurrenz durch EU-Exporte. Abhilfe könnten hier nur Kooperationen, größere Produktionsstrukturen und der Einsatz moderner Technologien schaffen.
Diesen Zielen hat sich beispielsweise die Organisation Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA) verschrieben. In Zusammenarbeit zwischen 13 afrikanischen Staaten, der EU und diversen privatwirtschaftlichen Unternehmen sollen die afrikanische Landwirtschaft wettbewerbsfähig gemacht und die Lebensbedingungen auf dem Land verbessert werden. Die Erfolge sind – nicht zuletzt wegen der Corona-Krise – nicht ganz wie geplant. Auch, weil viele Gelder (vor allem von NGO-Seite) immer noch in eine Entwicklungshilfe fließen, die darauf abzielt, traditionelle Arbeits- und Lebensbedingungen einschließlich der Subsistenzwirtschaft zu zementieren.
Keine Agrarimporte aus Deutschland, der übrigen EU und anderen Industrienationen mehr bedeutete das für die wachsende afrikanische Bevölkerung die Bedrohung, dass der in den vergangenen Jahrzehnten mit guten Erfolgen bekämpfte Hunger wieder zum Alltag wird.
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