Fast den gesamten Vormittag haben sich die EU-Abgeordneten gestern (10.5.) Zeit genommen, um in einer Generaldebatte ausführlich über den Green Deal und seine Folgen für die europäische Landwirtschaft zu beraten. Doch ein zentraler Akteur glänzte in der Debatte durch Abwesenheit: EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski.
Das stieß den Parlamentariern sauer auf. „Ich frage mich, wo sich der Landwirtschaftskommissar heute Morgen versteckt“, sagte der CDU-Abgeordnete Norbert Lins. Es gehöre zum Respekt gegenüber dem Parlament, dass sich der Agrarkommissar der Debatte stelle. Doch Wojciechowski blieb der Debatte fern.
Agrarkommissar fehlt in der Aussprache über Pflanzenschutzpolitik
Am Nachmittag erschien der polnische Kommissar zwar aus Anlass einer Aussprache über die Getreideimporte aus der Ukraine in die EU.
Doch sein Fehlen in der Generaldebatte über die zentralen Elemente der Farm-to-Fork-Strategie, die Verordnungsvorschläge der EU-Kommission zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR) sowie zum Naturwiederherstellungsgesetz (NRL), fiel negativ auf.
Der CSU-Abgeordnete und EVP-Fraktionschef Manfred Weber warf Wojciechowski ein inakzeptables Verhalten vor.
Opposition fordert den Rücktritt des polnischen Kommissars
Kritiker halten dem EU-Agrarkommissar schon länger vor, sich mehr für den polnischen Wahlkampf als für die EU-Agrarpolitik zu interessieren.
„Er ist nirgendwo. Er ist ständig abwesend. Er muss zurücktreten, ehrlich gesagt, denn wir haben keinen Agrarkommissar“, sagte Andrzej Halicki von der polnischen Oppositionspartei Bürgerplattform in einem Interview mit dem Nachrichtenportal „Politico“.
Ein Minister ist bereits gestolpert über den Protest der Bauern
Wojciechowskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) will die Parlamentswahl in Polen im Herbst wieder gewinnen. Doch ausgerechnet die polnischen Landwirte, eine wichtige Wählergruppe der PiS, sind enttäuscht von der Regierungspolitik. Sie sind wütend darüber, dass die Preise für ihr Getreide wegen der zollfreien Importe aus der Ukraine verfallen.
Anfang April warf PiS-Agrarminister Hendryk Kowalczyk unter dem Druck der Landwirte das Handtuch, weil er sich nicht in der Lage sah, die Einfuhren zu stoppen.
Wojciechowski aus nationalem Interesse auf europapolitischen Abwegen
Wojciechowski griff in den vergangenen Monaten bereits mehrfach in den Wahlkampf in Polen ein. Im Dezember 2022 hatte er sich bei einer Veranstaltung seiner Partei für eine Einschränkung der Agrareinfuhren aus der Ukraine ausgesprochen.
Damit begab sich der polnische EU-Kommissar in glatten Widerspruch zur damaligen Position der Europäischen Kommission, die Ukraine durch ein Zollmoratorium wirtschaftlich zu unterstützen. Eine Sprecherin der EU-Kommission sah sich angesichts des Verhaltens von Wojciechowski gezwungen zu betonen, dass die Kommission fest entschlossen sei, die Ukraine weiterhin durch Maßnahmen zur Handelsliberalisierung zu unterstützen.
Mittlerweile hat die Kommission allerdings den Kurs gewechselt und für Mais, Weizen, Raps und Sonnenblumensaat aus der Ukraine ein Einfuhrverbot für Polen und vier weitere EU-Mitgliedstaaten verhängt.
Dorfmann fordert funktionstüchtige Solidaritätskorridore für die Ukraine

Doch das trägt Wojciechowski neue Kritik ein. Der agrarpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Herbert Dorfmann, fragte den Agrarkommissar, was er tun wolle, wenn auch Frankreich oder Deutschland – so wie zuvor Polen und andere osteuropäische Mitgliedstaaten – nationale Einfuhrverbote für Agrarimporte aus der Ukraine verhängen würden? Ob er dann auch diese Beschränkungen entgegen den Regeln des Binnenmarktes einfach legalisieren wolle?
Dadurch werde das Problem nur ein paar hundert Kilometer nach Westen verschoben.
Dorfmann forderte die Kommission auf, endlich Vorschläge zu präsentieren, damit die sogenannten Solidaritätskorridore wirklich zu Korridoren würden und nicht einfach eine Grenzöffnung bedeuteten.
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