Zum ersten Mal seit rund 30 Jahren muss das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen wieder in Europa, in der Ukraine, aktiv werden. Anlässlich dieser Entwicklung warnt David Beasley, Chef des Welternährungsprogrammes, vor der Verschärfung einer globalen Hungerkatastrophe, auf die die Welt bereits vor dem Krieg in der Ukraine zugesteuert sei. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15. März erklärte er, dass es in Folge dieser Entwicklung zu einer neuen globalen Flüchtlingskrise kommen könne. Wörtlich sagte Beasley: „Die paar Millionen, die aus der Ukraine zu uns kommen, können verblassen gegenüber dem, was aus dem Süden nach Europa zu kommen droht.“
Wie hat sich der Welthunger schon vor dem Ukraine-Krieg verschärft?
Schon vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine sei das Welternährungsprogramm gezwungen gewesen, die Rationen für hungernde Menschen in Afrika und dem Mittleren Osten um die Hälfte zu kürzen. Beasley erklärt: „Das bedeutet, dass hungernde Kinder nur noch das Äquivalent einer Schüssel Reis am Tag bekommen.“ Schuld seien die Auswirkungen von Corona, Konflikten wie beispielsweise in Afghanistan und der Klimawandel. Deren ökonomische Folgen hätten die Kosten für Lebensmittel drastisch in die Höhe getrieben. Vor dem Ukraine-Krieg habe das Welternährungsprogramm bereits 30 % mehr für Nahrung bezahlen müssen als noch im Jahr 2019. Dem britischen Fernsehsender Channel 4 sagte Beasley am 14. März, dass die Zahl, der von Hunger akut gefährdeten Menschen auf der Welt von 135 Millionen auf 276 Millionen angewachsen sei.
Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für den Hunger auf der Welt?
Die Ukraine ist nicht nur einer der wichtigsten Weizenexporteure der Welt. Für das Welternährungsprogramm ist sie auch wichtigster Lieferant weiterer Lebensmittel wie etwa Sonnenblumenöl. Insgesamt stünden laut der Organisation derzeit rund 13,5 Millionen Tonnen Weizen und 16 Millionen Tonnen Mais aus der Ukraine und Russland für den Weltmarkt nicht zur Verfügung. Durch den Krieg würden außerdem die Transportkosten in viele Länder steigen, unter anderem weil Versicherungen höhere Gebühren für Schiffstransporte verlangen würden. Insgesamt stiegen dadurch die Kosten für das Welternährungsprogramm nach eigenen Angaben um 71 Millionen US-Dollar pro Monat. Damit sei das Ende noch nicht erreicht: Bleibe das Schwarze Meer als Transportroute dauerhaft geschlossen, könnten die Frachtkosten sich nochmals verdoppeln oder gar verdreifachen.
David Beasley: „Welche Kinder sollen hungern?“
Im Interview mit Channel 4 erklärte Beasley abschließend: „Allein in der Ukraine brauche ich 600 Millionen US-Dollar für drei Monate. Dabei fehlt mir bereits eine Milliarde Dollar. Woher soll das Geld kommen? Sollen die Kinder in Äthiopien hungern, um die in der Ukraine zu ernähren? Nehmen wir es von den afghanischen Kindern, um die Kinder im Jemen zu ernähren? Man zwingt uns zu entscheiden, welche Kinder leben und welche sterben. Dabei liegt das globale Vermögen bei 430 Billionen Dollar. Nicht ein Kind sollte verhungern müssen.“