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Hungerkrise

Weniger Biokraftstoff im Tank - mehr Getreide auf dem Teller?

Tankstelle
am Samstag, 02.07.2022 - 05:00 (5 Kommentare)

Es hört sich einfach an: Einfach die Biokraftstoff-Beimischungsquote senken und schon bleibt mehr zum Essen. Doch es ist wieder einmal etwas komplizierter.

Die Idee galt als Ei des Kolumbus: Man mischt Energie aus nachwachsenden Rohstoffen mit Benzin oder Diesel und schon könnte man den Verkehr klimafreundlicher machen. Weil das Kohlendioxid aus Raps- oder Getreidetreibstoffen grüner wäre. Die Zeiten haben sich geändert; in der Ukraine herrscht Krieg, die Welt schlittert in eine Hungerkrise und Landwirte sollen nicht mehr Energie für den Tank sondern Nahrung für den Teller anbauen.

Doch die griffige Idee hat einen Pferdefuß. Vielmehr: mehrere Pferdefüße. Sie hilft wenig gegen den Hunger. Sie torpediert die Klimaziele. Und sie könnte Landwirten schaden, die auf diese Kulturen setzen. Etwa indem Preise für Weizen oder Mais sinken könnten. Oder Rapsschrot als Eiweißfutter für Tiere fehlt.

Der Hunger bleibt trotz größerer Anbaufläche

Im Mai wurde bekannt, dass die Obergrenze für Biokraftstoffe aus Nahrungs- und Futterpflanzen sinken soll. Im kommenden Jahr von 4,4 Prozent auf 2,5 und innerhalb von sieben Jahren gar auf null. Damit würden 1,1 Millionen Hektar frei für Teller und Trog. „Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen“, sagte Umweltministerin Steffi Lemke der Augsburger Allgemeinen.

Doch was sich groß anhört, hat im Detail wenig Effekt. Durch den Krieg in der Ukraine könnten heuer 13,6 Millionen Tonnen Getreide fehlen. Und damit nicht genug. Der Internationale Getreiderat hat seine Prognose um 24 Millionen Tonnen auf 2,251 Milliarden Tonnen Getreide nach unten korrigiert. Verzichtet Deutschland auf Bio-Kraftstoff könnten laut Thünen-Institut 3,1 Millionen Tonne Getreide und gut 4,5 Millionen Tonnen Raps für den Verzehr frei werden.

Höhere Preise für Benzin oder Diesel und mehr Geld für Putin

Hinzu kommt, dass Deutschland in der Größenordnung von 65.000 Barrel Öläquivalenten Biokraftstoffe produziert, sagt die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Menschen ohne Biokraftstoffe weniger Auto fahren, braucht es dementsprechend mehr Erdölprodukte. Und damit auch Erdöl aus Russland. Eigentlich ist es gerade diese Energieabhängigkeit, die niemand mehr will. Der Bedarf nach Sprit in jeder Form wird zumindest solange bleiben, bis ein Großteil der 55 Millionen Autos hierzulande mit Strom fährt.

Zudem ist mit höheren Preisen zu rechnen. Zwar sind Biokraftstoffe prinzipiell teurer als fossile Treibstoffe, aber wegen der vorgeschriebenen Treibhausgasminderungsquote für die Mineralölkonzerne sind an der Zapfsäule die Mischungen mit mehr Bio drin günstiger.

Klimaschutz verliert eine Stellschraube

Wie bereits festgestellt, werden bei einem Aus für Biokraftstoffe die Menschen weiterhin Autos nutzen und dafür Kraftstoffe verbrennen. Bei aller Kritik lässt sich die Menge an Treibhausgasen mit Biokrafstoffen reduzieren. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe sagt, die Emissionen stiegen in 2019 um 1,2 Millionen Tonnen auf 163,5 Millionen Tonnen. Bis 2030 sollen im Verkehr aber nur 98 Millionen Tonnen CO2 enstehen. Weil die E-Autos aus dem vorherigen Absatz bis jetzt noch nicht mehr geworden sind, bleiben Biokraftstoffe die wichtigste Stellschraube.

Natürlich ist Palmöl aus dem Regenwald keine Alternative und als Biokraftstoff abzulehnen. Aber für Biokrafstoffe aus Deutschland fällt kein Baum. Und natürlich kann man fordern, in Deutschland auf den Flächen für Biokraftstoffe Wälder zu pflanzen und Solarzellen zu bauen, aber bis da etwas zu spüren ist, vergehen Jahre. Damit einher geht geht auch das bereits erwähnte Sojaschrot. Weniger Sojaschrot bedeutet eine höhere Nachfrage nach Soja, etwa aus Brasilien. Und auch das steht in der Kritik.

Und was ist mit den Produzenten?

Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie hält nicht viel von den Plänen der Bundesregierung. Kritisch sieht der Verband, dass Planungen und Investitionen in dem Marktsegment so hinfällig sind. Im Übrigen ist der Markt schon einen Schritt weiter: Vor Russlands Invasion der Ukraine gingen 60 Prozent des deutschen Rapsöls in die Produktion von Biokraftstoff. Seit Sonnenblumenöl knapp ist, steigt aber die Nachfrage nach Rapsöl. Hier wandert ein Rohstoff bereits wieder vom Tank auf den Teller.

Zudem fehlt mit dem Wegbrechen eines Abnehmers, nämlich die Ethanol-Hersteller, ein Kunde. Das Mehr an Getreide könnte dazu führen, dass die Preise etwa für Weizen oder Getreide wieder fallen. Manch Landwirt wird das gar nicht freuen.

Und die Moral von der Geschicht‘?

Agrarheute meint: eine plakative Idee, deren Vorteil an der Realität zerbricht. Wer wirklich den Hunger bekämpfen will, das Klima schützen und Russland in die Suppe spucken will, muss den Menschen den Verzicht schmackhaft machen. Das heißt beispielsweise, weniger Auto zu fahren oder hochwertige Erzeugnisse der Landwirtschaft kaufen. Und vielleicht ist das noch nicht einmal Verzicht.

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