Am Anfang stand ein Kompromiss unter Druck. Die Bundesministerien für Umwelt (BMU) und Landwirtschaft (BMEL) konnten sich so lange nicht auf eine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes einigen, bis das Kanzleramt eingriff und Köpfe zusammengehauen hat. Im Endergebnis flogen alle wesentlichen Forderungen des BMEL aus dem Gesetzesentwurf - etwa nach einer Möglichkeit zum rechtssicheren und präventiven Abschuss von Wölfen, wenn konkrete Gefahr von ihnen ausgeht und nach der Schaffung wolfsfreier Zonen. Das BMEL hat wahrscheinlich seinen Teil dazu beigetragen, denn damals brauchte man unbedingt die Zustimmung des BMU zu den Reformplänen für die Düngeverordnung. Ein Hinterzimmer-Deal liegt nahe.
Ein Schaufensterkompromiss
Der Kompromiss, den das Bundeskabinett zum Naturschutzgesetz beschlossen hat und der in wesentlichen Punkten unverändert durch Bundestag und Bundesrat ging, sieht zwar auf dem Papier einen etwas leichteren Abschuss von Wölfen vor. Er bleibt aber eine Schaufensterlösung, die nicht alltagstauglich ist. So dürfen Wölfe beispielsweise entnommen werden, wenn „ernste“ Schäden drohen. Was „ernst“ ist, wird nicht definiert. Um den alten Witz zu zitieren: Ernst ist heute ein halbes Jahr alt.
Ein weiteres Problem bleibt, dass mit hoher Sicherheit festgestellt werden muss, ob es sich um einen Wolfsriss handelt. Die zuständigen Forschungsinstitute in Deutschland streiten unterdessen munter über Nachweise, was ein Wolf war und was vielleicht ein Wolf-Hund-Mischling (der in jedem Fall entnommen werden darf). Rechtssicherheit sieht anders aus.
Der gesamte Kompromiss beim Naturschutzgesetz bleibt ein riesiger Brocken, den der Bund den Ländern hingeworfen hat. Er ähnelt dabei der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung roter Gebiete, die diese Woche beschlossen wurde: Eine unglaublich komplexe Materie, an der viele Seiten sich in Details abarbeiten können, ohne jemals zu einer unbürokratischen Lösung zu kommen.
Angesichts dieser Lage hilft es dann auch nichts, sich heute hinzustellen und zu sagen, man habe ja mehr tun wollen, es sei aber am Koalitionspartner SPD gescheitert. Der günstige Erhaltungszustand beim Wolf sei erreicht und nun müssten andere handeln. Diese Linie fährt schon geraume Zeit und aktuell wieder Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner beim Thema Reform des Bundesnaturschutzgesetzes zum Wolf. Es war der SPD-Politiker Herbert Wehner der einmal sagte: "Politik ist die Kunst, das Notwendige möglich zu machen." Mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu sagen, wo sie noch arbeiten müssen, ist hingegen keine Kunst.
Wann gibt es genug Wölfe?
Nun muss man ehrlich sagen, dass Abschüsse allein oder gar wolfsfreie Gebiete keine realistische Lösung für die Ängste der Tierhalter sind. Denn um wirklich viele Wölfe entnehmen zu dürfen, muss der Erhaltungszustand der Population in Deutschland günstig sein. Wann das so ist, entscheidet das Bundesamt für Naturschutz. Auch hier wird trefflich gestritten, wie gut der Erhaltungszustand wirklich ist. Meine Vermutung: Er wird erst dann als „günstig“ definiert werden, wenn es so viele Wölfe in Deutschland gibt, dass die Entnahme einzelner Tiere aus Sicht der bäuerlichen Tierhalter gar nicht mehr groß ins Gewicht fällt. Bei wolfsfreien Gebieten wird es ähnlich laufen.
Alle unzufrieden, keine Lösung in Sicht
So sind denn alle Seiten weiter unzufrieden mit dem Naturschutzgesetz: Die Nutztierhalter, weil sie Angst um ihre Tiere haben. Die Behörden, weil sie bei jeder Erlaubnis zur Entnahme mit Klagen von Wolfsschützern überzogen werden. Die Umweltschützer, weil sie mehr Verständnis für Wölfe fordern. Und die Wölfe selbst? Deren gefährlichster Feind ist und bleibt das Auto. Eine Lösung, die alle Seiten einigermaßen friedlich vereint, hat weiterhin niemand.
Dieser Kommentar erschien zum ersten Mal am 13. August 2020.
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