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Schreckliche Unfälle auf dem Hof vermeiden: Experte kennt Lösung

Krankenwagen auf Landstraße
am Samstag, 03.06.2023 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Verkehrsunfälle auf Bauernhöfen sind schrecklich - vor allem, wenn Kinder verletzt werden. Für mehr Sicherheit im Hofbereich und auf der Straße können Kamerasysteme für Traktoren und andere Maschinen sorgen. Experte Georg Dürrstein klärt auf.

Georg Dürrstein, Experte für Kameras in der Landwirtschaft

Insbesondere an Fahrzeugen erweitern Kameras schwer einsehbare Sichtfelder und können so im Straßenverkehr Unfälle vermeiden. Daneben gibt es Rückfahrkameras für den Hofbereich. Wir konnten Georg Dürnstein, ein Kamera-Experte, für ein Interview gewinnen.

Ein Frontanbau-Gerät am Traktor schränkt die Sicht des Fahrzeugführers schnell ein. Wann ist ein Kamera-Monitor-System vorgeschrieben?

Gemäß § 35b der StVZO ist bei Vorbaumaß größer 3,50 Meter zwischen Lenkradmitte – in Fahrstellung – und Vorderkante eines Fahrzeuges mit oder ohne Anbaugerät an unübersichtlichen Kreuzungen ein Einweiser oder seit dem 15. Dezember 2015 gemäß dem Verkehrsblatt 180 ersatzweise ein zertifiziertes Querkamerasystem vorgeschrieben. Eine Kreuzung gilt als unübersichtlich, wenn der Fahrzeugführer weniger als 100 Meter nach links und rechts eine Querstraße vom Fahrersitz aus nicht ungehindert einsehen kann.

Das Angebot an Kamera-Monitor-Systemen ist groß. Gibt es geprüfte Systeme?

Es gibt derzeit vier von der DLG und/oder TÜV entsprechend den Vorgaben des Gesetzblattes 180 geprüfte und zertifizierte Querkamerasysteme mit denen ein Einweiser ersetzt werden kann.

Wären solche Kamera-Monitor-Systeme auch für bestehende Rückfahrkameras nutzbar?

Ja und nein. Nutzbar ja, zulässig nein. Jeder, der mal die Führerscheinprüfung abgelegt hat, hat gelernt, dass ohne Einweiser kein Zentimeter rückwärtsgefahren werden darf. Bei jeder in einem Pkw und so weiter eingebauten Rückfahrkamera wird im Bildschirm immer eingeblendet, dass der Fahrzeugführer trotz Rückfahrkamera selbst verantwortlich ist und sich absichern muss, dass hinter dem Fahrzeug kein Kleinkind spielt beziehungsweise generell frei ist. Trotz dieser rechtlichen Haftungseinschränkung ist natürlich eine Rückfahrkamera immer eine große Hilfe – eigentlich ein Muss auch in der Landwirtschaft, vor allen Dingen hinter Anhängern wie hohe Silierwagen etc.

Rückfahrkameras kommen hauptsächlich im Hofbereich und Querkameras im Straßenverkehr zum Einsatz? Welche grundsätzlichen Ansätze sehen Sie für eine „ganzheitliche“ Verkehrsüberwachung?

Hier wird die „Crux“ in Sachen Zuständigkeit der ganzheitliche Verkehrsraumüberwachung angesprochen: Für Sicherheit und deren Überwachung und Verbesserung auf einem Hofgelände ist die Berufsgenossenschaft zuständig. Auf der öffentlichen Straße Verkehrsministerien und Zulassungsbehörden der jeweiligen Bundesländer und Zulassungsstellen. Für die Überwachung im öffentlichen Bereich die jeweilige Verkehrspolizei, die wiederum den jeweiligen Bundesländerinnenministerien unterliegen.

Noch komplizierter ist es für Landwirte oder Lohnunternehmer, die in verschiedenen Landkreisen oder noch dazu in verschieden Bundesländern arbeiten oder fahren. Überbreite Maschinen wie Mähdrescher oder Häcksler sowie auch Querkameras benötigen ja die Sondergenehmigungen nach § 70 und § 29 des örtlichen (Wohn/Betriebssitz) Zulassungsbehörden. Auch gibt es zum Teil erheblich unterschiedliche „Ansichten“ örtlicher Zulassungsbehörden bei Auflagen wie Begleitfahrzeug ja/nein und so weiter.

Landwirte im Grenzbereich zu verschiedenen Bundesländern kennen die Problematik zur Genüge. Eine Ausnahmegenehmigung in einem Bundesland hat im anderen Bundesland noch lange keine Gültigkeit. Hier schreit es geradezu nach Verwaltungsvereinfachung beziehungsweise Angleichung.

Solche Kameras geben einen guten Über- beziehungsweise Einblick. Manche „intelligente“ Systeme besitzen eine Personenerkennung, richtig?

Sie sprechen hier die neue KI-Technologie an also „Künstliche Intelligenz“. Man muss da ein bisschen vorsichtig sein. Geht es „nur“ um Personenerkennung, dann reicht eine relativ günstige Lösung, die auf Wärmeerkennung reagiert und zum Kamerabild dem Fahrer auch eine akustische und/oder optische Warnung übermittelt. Die Problematik ist, dass wirklich ein Temperaturunterschied erkannt werden muss.

Ein Kind im Kinderwagen der Rückwärts zur Kamera hinter einem Fahrzeug steht, wird nicht oder nur sehr schwer erkannt. Steht der Kinderwagen so zur Kamera das die Kamera das Gesicht des Kindes erfasst, dann reagiert das System mit einer Warnung an den Fahrer. Selbst ein Kinderwagen, der sich bewegt wird jedoch nicht erkannt.

Gibt es auch Lösungsansätze oder Warnsysteme für sich bewegende Objekte, wie heranfahrende Verkehrsteilnehmer, zum Beispiel Motorradfahrer?

Ja, es gibt inzwischen Kameras, die bewegte Objekte und Personen erkennen. Nicht ganz so preiswert, aber eigentlich, worauf man gewartet hat. Auf dem Hofgelände soll so eine Kamera Personen erkennen, die sich hinter einem Fahrzeug aufhalten. Auf der öffentlichen Straße soll eine Kamera zusätzlich den sich bewegenden Verkehr erkennen und auch den Fahrer warnen.

Es passieren immer mehr Unfälle oder gefährliche Situationen beim Linksabbiegen mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Pkw und vor allen Dingen Motorradfahrer glauben oftmals, dass man noch schnell überholen kann. Zwei drei oder mehr Autos in der Schlange hinter einem Silieranhänger sind von einem Schlepperfahrer im sogenannten „Toten Winkel“ nicht zu sehen. Dann noch ein Motorradfahrer, der der Meinung ist, dass es schon „noch passt“, da er ja eh der Schnellere ist.

Hier helfen neue Kameras mit echter KI-Technologie ungemein, da sie die sich bewegenden Objekte hinter einem Fahrzeug erkennen und eine Warnung an den Fahrer geben. Übrigens, auf dem Hofgelände wäre so eine ganzheitliche KI-Kamera auch kein Fehler.

Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Könnte man intelligente Kameras mit Drohnen kombinieren? Ich meine, könnte eine Drohne das Fahrzeug wie Futtermischwagen immer im gleichen Abstand begleiten und über Kameras das Sichtfeld für den Lenker von oben überwachen?

Ja, auch da wird inzwischen in der Kombination Drohne-KI Kamera intensivst entwickelt und es gibt auch schon recht vielversprechende Lösungsansätze. Das Problem einer Drohne ist in der Regel, dass die Batterie nur für circa 15 Minuten Flugzeit reicht. Ein Entwickler hat nun die Drohne mit einem rund zehn meterlangen Stromkabel mit dem Schlepper zur dauerhaften Energieversorgung verbunden. Eine Software wurde dazu entwickelt, dass sich die Drohne mit ihrem RTK GPS ständig mit der Position des Schleppers mit RTK GPS ab- beziehungsweise angleicht. Über die Software kann man so die Position der Drohen zum Schlepper vorbestimmen.

Die Drohne ist mit einer KI-Kamera ausgerüstet und überträgt das Bild online und zeitgleich ständig zum Monitor im Schlepper. Ein Feld ist ja auch ein „Verkehrsraum“ – zuständig ist dort die Berufsgenossenschaft. Einsätze werden im Moment vor allen Dingen im Gemüsebau getestet, um die Personenpositionen auf oder an Pflanz- oder Gemüseerntemaschinen überwacht und der Fahrer gegebenen Fall gewarnt oder das Fahrzeug automatisch gestoppt.

Ein weiterer interessanter Anwendungsfall für die Überwachung ist die Drohne mit Wärmekameras online dem Schlepper bei Mäharbeiten vorausfliegen zu lassen. Sobald ein Rehkitz als Wärmeobjekt erkannt wird, wird der Schlepper automatisch zum Stehen gebracht – ähnlich wie im Pkw oder Lkw der Notbremsassistent.

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