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Kommentar

Bruderhähne - Ressourcenverschwendung fürs gute Gewissen

Hühnerküken im Stall
am Montag, 19.04.2021 - 09:00 (11 Kommentare)

Wenn Ende dieses Jahres das Töten von Eintagsküken verboten wird, soll die Bruderhahnaufzucht eine Alternative sein. Zumindest, bis eine echte Geschlechtsfrüherkennung vor dem sechsten Bruttag praxisreif ist. Die süßen Küken bleiben für einige Wochen am Leben. Was für Tierfreunde nach einem Sieg klingt, ist aus Sicht der Nachhaltigkeit wahrer Irrsinn. Ein Kommentar.

Vor ein paar Tagen haben wir uns hier mit der Frage auseinandergesetzt, ob männliche Eintagsküken der Legerassen tatsächlich (a) sinnlos und (b) per Schredder getötet werden. Die Antwort ist in beiden Fällen: nein. Die Junghähne werden mit Kohlendioxid getötet und dienen – ungeschreddert – in der Wildtierhaltung als wertvolles Futter.

Dass man deshalb von dem Plan absehen wird, das Töten von Hahnenküken ab nächstem Jahr per Gesetz zu verbieten, ist trotzdem unwahrscheinlich. Zu lange haben NGOs und Politker den deutschen Verbraucher mit flauschigen Kükenbildern und markigen Schreddersprüchen bearbeitet. Jetzt, wenige Monate vor der Bundestagswahl, wagt wohl kein Entscheidungsträger mehr, das Ganze noch einmal mit Vernunft zu überdenken. 

Dabei gäbe es noch weitere Argumente gegen die Aufzucht der sogenannten Bruderhähne, welche –  mangels einer wirklich praxisreifen Geschlechtsfrüherkennung – in vielen Fällen die Alternative der Wahl sein wird.

Bruderhahn-Aufzucht als solche ist unrentabel

Hähne aus Legelinien sind keine Masttiere. Das ist kein Geheimnis. Die Vögel wachsen langsam und bilden wenig Fleisch und kaum Fett. Man nennt solche Tierrassen Umsatztypen. Deren Stoffwechsel ist – im Gegensatz zu sogenannten Ansatztypen – genetisch darauf programmiert, eine Leistung auszustoßen, und nicht die aufgenommene Energie vorrangig als Körperreserve zu speichern.

Diese Tiere zu mästen, ist also nicht effizient. Der Aufwand der Aufzucht lässt sich schwer monetarisieren.

Nun könnte man dagegenhalten, dass der Verbraucher diese Bruderhähne groß werden sehen will und – zumindest streckenweise – auch bereit ist, die teureren Eier zu bezahlen. Also alles im grünen Bereich?

Wertvolles Futter für Fleisch ohne Markt

Mitnichten. Michael Häsch, Geflügelzüchter und stellvertretender Vorsitzender de Landesverbands der Bayerischen Geflügelwirtschaft (LVBGW) hat am 20. März 2021 in einem offenen Brief an politische Entscheidungsträger und Medienvertreter mal eine Rechnung aufgemacht. In 16 Lebenswochen, zitiert Häsch Zahlen der Bruderhahninitiative, braucht ein Tier 7,7 kg Futter (also überwiegend Getreide), um damit 640 g nutzbares Fleisch anzusetzen.

Dieses Fleisch landet aus Qualitätsgründen allerdings nicht am Grillhähnchenstand oder als Hühnerbrustfilet in der Gefriertruhe, sondern überwiegend in Convenience-Produkten, Brühpasten, Tierfutter etc.. Also da, wo bislang das Fleisch, das bei der Produktion wertvollerer Teile angefallen ist, genutzt wurde. Nur ist dieses Bruderhahnfleisch eben kein Nebenprodukt, sondern alles, was vom Schlachttier zu verwenden ist.

Bruderhahnaufzucht: Nachhaltigkeit geht anders

Eierverpackung mit Bruderhahnaufdruck

Sollten also ab Januar 2022 – spätestens aber ab 2024, wenn bis dahin keine Geschlechtsfrüherkennung vor dem sechsten Bruttag praxisreif ist – über 40 Mio. Eintagsküken nicht mehr getötet und verfüttert, sondern aufgezogen und gefüttert werden, müssten für diese Tiere jährlich gut 300.000 t Futtergetreide von 40.000 bis 50.000 ha Anbaufläche bereitgestellt werden, rechnet Häsch. Und das weitgehend zusätzlich zur normalen Hühnermast, denn der Markt an wertvollen Fleischteilen lässt sich, wie gesagt, mit den Bruderhähnen nicht beliefern.

Diese Getreidemengen wären in Deutschland nicht zu erzeugen. Wir sind jetzt bereits Nettoimporteur. Also reden wir von Futtermittelimporten in erheblichem Ausmaß für einen Produktionszweig, der keinen Markt bedient – wenn man vom moralischen Wohlgefühl hiesiger Verbraucher einmal absieht. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun.

Keine Reaktionen in Politik und Medien

Man kann also resümieren, dass Deutschland im Alleingang einen Weg einzuschlagen gedenkt, der sich nahezu ausschließlich emotional begründen lässt. Hühnerküken sind halt niedlich. 

Dabei sprechen sowohl aus Sicht des Artenschutzes (Futtergrundlage für Greifvogelstationen und Zoologische Gärten) als auch aus Sicht der Nachhaltigkeit (Ressourcenverbrauch in der Aufzucht) wichtige Gründe gegen ein Tötungsverbot.

Laut Michael Häsch und einem Gesprächspartner aus dem Bereich Falknerei/Wildvogelaufzucht haben die Betroffenen mehrfach Gespräche mit Politik und Medien gesucht. Das Interesse war verhalten. Häsch hatte auf seinen offenen Brief zwar immerhin ein Gespräch mit der Tierschutzreferentin im Bundeslandwirtschaftsministerium – auch wenn danach nichts weiter passiert ist. Dem Bundesumweltministerium war der Brief dagegen nicht mal eine Eingangsbestätigung wert.

Tote Eintagsküken sind ein heißes Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen möchte. Ihre „Rettung“ dagegen lässt sich politisch gut vermarkten.

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