„In Schlachthöfen muss deutlich mehr unternommen werden, um die Risiken für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu reduzieren", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel am Samstag. Die Branche falle seit Jahren immer wieder mit miserablen Arbeitsbedingungen auf. Gerade jetzt komme es aber auf verstärkten Arbeitsschutz an, der für alle Beschäftigten gelten müsse - auch für entsandte Kräfte in Gruppenunterkünften.
„Diese Krise macht deutlich, wie überfällig es ist, auf Stopp zu drücken und den ruinösen Preiskampf beim Fleisch zu beenden", sagte der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Freddy Adjan. Über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigte Mitarbeiter würden seit Jahren rücksichtslos ausgenutzt. Schlachthofbetreiber sollten das Schlachten aber nicht an billige Fremdfirmen auslagern dürfen.
Bundesarbeitsminister Heil fordert strengere Kontrollen
Immer mehr Fälle von Corona Sars-Cov-2 in Schlachthöfen werden bekannt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat seine Länderkollegen Medienberichten zufolge wegen "unhaltbarer Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz" zu strengeren Kontrollen aufgefordert. So sollen der Arbeitsschutz für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und in der Fleischindustrie, besonders Sammelunterkünfte und der Personentransport, kontrolliert werden. Die massenhaften Infektionen in den Fleischbetrieben zeigten "diesen akuten Handlungsbedarf".
Heil weist laut dem Bericht darauf hin, dass sich bereits mehrere diplomatische Vertretungen der Herkunftsländer von Arbeitern bei der Bundesregierung beschwert hätten.
Über 350 Corona-Infizierte in vier Schlachtbetrieben
In vier Schlachtbetrieben kam es zu vermehrten Infektionen. Rund 90 Mitarbeiter waren bei Müller-Fleisch in Birkenfeld betroffen.
129 Westfleisch-Mitarbeiter wurden positiv getestet. Am Freitag wurde das Unternehmen aus Coesfeld vorübergehend geschlossen.
Bei Vion in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg) in Schleswig-Holstein waren insgesamt 109 Beschäftigte positiv getestet worden, darunter ausländische Mitarbeiter, die auf dem Gelände einer Kaserne im Kreis Steinburg in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind. Bereits seit Ausbruch der ersten Fälle stehe die Unterkunft unter Quarantäne, sagte eine Sprecherin des Kreises Steinburg.
In Oer-Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) in NRW haben sich in einem Schwesterbetrieb von Westfleisch 33 von 1.250 Mitarbeitern infiziert. Dies teilte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Freitag mit.
Schleswig-Holstein: Tests der Schlachthof-Belegschaft
Schleswig-Holstein reagiert auf die vielen Corona-Fälle in Schlachthöfen und lässt die Belegschaften aller großen Betriebe im Land testen. Sollten die Beschäftigten in Werkswohnungen oder ähnlichen privaten Gemeinschaftsunterkünften leben und dort weitere nicht im Schlachthof angestellte Personen wohnen, seien diese ebenfalls zu testen, teilte das Gesundheitsministerium am Freitag in Kiel mit. Zudem sind weitergehende Tests für Erntehelfer in Abstimmung mit den Gesundheitsämtern der Kreise und kreisfreien Städte in Vorbereitung.
Laut Landwirtschaftsministerium gibt es in Schleswig-Holstein derzeit etwa 50 Schlachtbetriebe, darunter mehrere größere wie Vion in Bad Bramstedt.
Auch Niedersachsen erwägt Tests
Auch Niedersachsen prüft, ob man flächendeckende Tests bei den Mitarbeitern von Schlachthöfen durchführen wird. Das teilte das Agrarministerium in Hannover am Freitag auf Anfrage mit. Derzeit lägen "keine Hinweise auf Corona-Erkrankungen in Schlachtbetrieben oder anderen Lebensmittelunternehmen vor, die Auswirkungen auf die Versorgungssituation oder auf die Lieferketten in Niedersachsen" haben, hieß es weiter.
ISN: Schnell zurück ins Geschäft
Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) betont, dass die Situation "eigentlich nicht neu war, denn in den vergangenen Wochen waren bereits Mitarbeiter auf anderen Schlachthöfen – wie auch Mitarbeiter anderer Unternehmen - durch Infektionen betroffen".
Alle Schlachtbetriebe hatten laut ISN die Vorsichtsmaßnahmen bereits hochgeschraubt. Entscheidend sei nun, dass Behörden und Politik alles daran setzen, den Schlachtbetriebunter kontrollierten Bedingungen schnell wieder anlaufen zu lassen. Denn ansonsten gehe das am Ende zu Lasten der Tierhalter und nicht zuletzt zu Lasten der Tiere.
Tönnies: Fleischindustrie nicht unter Generalverdacht stellen
Die Firma Tönnies, Deutschlands größer Fleischverarbeiter, warnt davor, die Branche unter Generalverdacht zu stellen. "Wir wurden in der Ernährungsindustrie vor acht Wochen aufgefordert, während des Lockdowns weiter zu arbeiten, so wie Krankenhäuser, Pflegeheime und die Energieversorgung", sagte Sprecher André Vielstädte. Trotz erheblicher Maßnahmen bleibe - wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen - ein Restrisiko.
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