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Geflügel

Geflügelhalter: Vorwärtsdenken statt `nostalgischem Unfug`

am Montag, 07.01.2013 - 12:20 (Jetzt kommentieren)

Oldenburg - Die Geflügelwirtschaft ist eine sehr erfolgreiche und überaus leistungsfähige Branche.
Das betonen Wilhelm Hofrogge und Prof. Hans-Wilhelm Windhorst im Interview.

Wie der Vorsitzende der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft (NGW) und Vizepräsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Wilhelm Hoffrogge, und Prof. Hans- Wilhelm Windhorst von der Universität Vechta betonen, handelt es sich bei der deutschen Geflügelwirtschaft mit Schwerpunkt in Niedersachsen um eine sehr erfolgreiche und überaus leistungsfähige Branche. Dies gelte es zu sichern und weiter auszubauen.
 
Eine rückwärts gerichtete Politik zu Tierhaltungsformen längst vergangener Zeiten sei "nostalgischer Unfug" und werde zwangsläufig zur Verlagerung der Produktion in andere Länder Europas beziehungsweise Drittstaaten führen, warnt Hoffrogge. Windhorst räumt ein, dass die Geflügelbranche in den zurückliegenden Jahren an Wertschätzung verloren habe, sei es durch reale oder vermeintliche "Skandale". Die niedersächsische Geflügelwirtschaft habe hierauf reagiert und eine Offensive gestartet, die unter der Überschrift "Transparenzoffensive Geflügelwirtschaft" laufe. Hoffrogge hob hervor, dass Deutschland über die höchsten Tierschutzstandards der Geflügelwirtschaft in der EU verfüge. Eine generelle Anhebung der tierschutzrelevanten Parameter sei deshalb aus Wettbewerbsgründen auszuschließen.

Die Erzeugung von Geflügelfleisch ist in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Doch zunehmend steht die Branche wegen ihrer Haltungsformen in der gesellschaftlichen Kritik. Ist in diesem Umfeld ein weiterer Produktionsanstieg noch möglic

Windhorst: Der deutsche Verbrauch an Geflügelfleisch liegt weiterhin noch deutlich unter dem Durchschnitt der EU, so dass von daher noch ein Anstieg des inländischen Verbrauches zu erwarten ist. Produktionssteigerungen werden auch in Zukunft noch möglich sein, wobei allerdings davon auszugehen ist, dass diese stärker außerhalb der bisherigen Produktionszentren erfolgen werden. Auch wird ein Teil der wachsenden Produktion in den Export gehen müssen.

Die heimische Erzeugung von Geflügelfleisch ist stärker gestiegen als der inländische Verbrauch; der Selbstversorgungsgrad liegt mittlerweile über 100 %. Wo und mit welchen Produkten sehen Sie für den Export die Wachstumsmärkte der Zukunft?

Windhorst: Da Deutschland wegen der höheren Produktionskosten mit den USA oder Brasilien nicht mit "Massenware" auf dem Weltmarkt konkurrieren kann, wird es notwendig sein, veredelte Produkte auf dem Weltmarkt anzubieten. Hier liegt in Deutschland ein sehr hoher Qualitätsstandard vor. Diese Produkte werden sich sowohl in der EU als auch in einer Reihe von Schwellen- und Entwicklungsländern absetzen lassen, wenn dort eine breiter werdende Mittelschicht mit hoher Kaufkraft beginnt, solche Produkte nachzufragen.

Können Brasilien, die USA oder andere Länder als Konkurrenten am Weltmarkt aufgrund niedrigerer Produktionskosten nicht preiswerter als deutsche Exporteure anbieten? Was macht außer dem Preis den Erfolg im Exportgeschäft aus?

Windhorst: Es ist richtig, dass die deutschen Produzenten tiefgefrorene Brustfilets oder auch die sogenannten "leg quarters" nicht zu vergleichbaren Preisen auf dem Weltmarkt anbieten können. Deshalb wird es notwendig sein, mit Produktinnovationen in diese Märkte zu gehen. Schon jetzt zeigt sich, dass auf einigen asiatischen Märkten die hohe Produktqualität geschätzt wird. Die seit Jahrzehnten für den Export wichtige Kennzeichnung "Made in Germany" wird sich auch bei Nahrungsmitteln durchsetzen und damit sollte man punkten.

Der drastische Anstieg der Futtermittel- und anderer Produktionskosten macht vielen Veredlungsbetrieben zu schaffen. Wie sieht es in der Geflügelbranche aus? Reichen die bisherigen Preissteigerungen für Erzeuger und Schlachtbetriebe aus oder müssen noch w

Windhorst: Sicher ist auch die Geflügelwirtschaft von dem massiven Anstieg der Futterkosten betroffen. Da jedoch im Bereich der Hähnchenmast eine sehr günstige Futterverwertungsrate vorliegt, trifft es diesen Zweig nicht so hart wie die Putenmast. Besonders betroffen sind natürlich die Betriebe, die mit den großen Lebensmitteleinzelhandelsketten längerfristige Verträge abgeschlossen haben und nun die Kostensteigerung nicht weitergeben können. Hier werden Aufschläge erfolgen müssen, wenn man größere wirtschaftliche Probleme in der Primärproduktion verhindern will, an denen auch der Handel kein Interesse haben kann.

Wie reagiert der Verbraucher in Deutschland und international auf steigende Geflügelfleischpreise? Besteht die Gefahr, dass sich der Verbrauch abschwächt?

Windhorst: Bislang sind Anzeichen eines Rückganges im Verbrauch noch nicht zu erkennen. Der Preisvorteil von Geflügelfleisch ist gegenüber anderen Fleischarten nach wie vor gegeben und wir erwarten eine jährliche Verbrauchszunahme von 100 g bis 200 g. Es gibt aber Verlautbarungen, insbesondere aus den USA und auch Brasilien, dass von einer Abschwächung der Nachfrage ausgegangen wird. Eine ähnliche Entwicklung könnte sich auch in den Mitgliedsländern der EU abzeichnen, die mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Hier liegen aber noch keine belastbaren Zahlen vor.

Das Image der Geflügelbranche hat in den vergangenen Jahren unter kritischen Medienberichten gelitten. Welche Anstrengungen unternimmt die gesamte Branche, um dem entgegenzuwirken?

Windhorst: Die Geflügelbranche hat in den zurückliegenden Jahren an Wertschätzung verloren, sei es durch reale oder vermeintliche "Skandale". Die niedersächsische Geflügelwirtschaft hat hierauf reagiert und eine Offensive gestartet, die unter der Überschrift "Transparenzoffensive Geflügelwirtschaft" läuft. Sie wird vom NGW finanziert und von Wissenschaftlern der Universität Vechta unter meiner Leitung organisiert und wissenschaftlich begleitet. Ziel ist es, der Öffentlichkeit ein realistisches Bild von einer modernen, marktorientierten Geflügelwirtschaft zu vermitteln. Bislang haben sich mehr als 60 Betriebe aus ganz Niedersachsen bereiterklärt, ihre Stallanlagen für Besucher zu öffnen. Am 23. September und 21. Oktober 2012 haben jeweils drei Geflügelhalter ihre Stallanlagen für Besucher geöffnet. Die Resonanz war überwältigend, denn etwa 1 350 Besucher haben die Möglichkeit genutzt, zwei Legehennen-, Putenmast- und Hähnchenmastbetriebe zu besuchen und auch in die Ställe zu gehen. Die Befragung der Besucher hat gezeigt, dass dies der richtige Weg ist, denn etwa 95 Prozent erklärten in einer Nachbefragung, dass das Bild, das sie nun gewonnen hätten, nichts mit der zumeist negativen Berichterstattung in den Medien zu tun habe.

Die Umsetzung höherer Erzeugerpreise über mehr Tierschutz wird gegenwärtig in der Schweinebranche diskutiert. Ist dies auch ein Thema in der Geflügelbranche, und welche Rolle könnten dabei Tierwohllabel spielen?

Hoffrogge: Deutschland hat die höchsten Tierschutzstandards in der Geflügelwirtschaft der EU. Eine generelle Anhebung der tierschutzrelevanten Parameter ist aus Wettbewerbsgründen auszuschließen. Neben dem seit Jahren bestehenden Angebot an Eiern und Geflügelfleisch aus Biohaltungen wird aktuell Geflügelfleisch aus Sonderprogrammen, gekennzeichnet mit dem Tierwohllabel, dem Verbraucher über den Lebensmitteleinzelhandel angeboten. Der Preis wird je nach Angebotsform zwischen 50 Prozent und 100 Prozent über dem der Standardware liegen. Wissenschaftler der Universität Göttingen beziffern die Marktchancen auf einen Anteil von etwa 20 Prozent des gesamten Geflügelfleischverzehrs. Experten der Wirtschaft sehen das Potential allerdings bei maximal fünf Prozent.

Im Fokus der Kritik gesellschaftlicher Gruppen und der Medien steht unter anderem auch der Antibiotikaeinsatz in der Geflügelmast. Welche Strategien hat die Geflügelbranche für eine Minimierung des Antibiotikaeinsatzes? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhan

Hoffrogge: Die Geflügelwirtschaft beschäftigt sich sehr intensiv mit der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes. Maßnahmen sind zum Beispiel die Verbesserung der Prophylaxe durch Schutzimpfungen der Tierbestände, die Optimierung der Umweltbedingungen in den Ställen, die Intensivierung der tierärztlichen Betreuung und fortlaufende Schulungen der Tierhalter. Dieses Maßnahmenpaket zeigt schon deutliche Wirkung: So ist de facto innerhalb eines Jahres in Niedersachsen der Antibiotikaeinsatz um circa 30 Prozent zurückgegangen. Wir unterstützen die Novellierung des Arzneimittelgesetzes; insbesondere begrüßen wir die Einrichtung einer staatlichen Datenbank, damit auch in diesem Bereich Transparenz hergestellt werden kann.

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