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Fütterung

Fütterungsexperte mit 90: Die Totale Mischration war die Wende

Mit der Futtermischtechnik zog eine neue Ära in den Stall, aber auch neue Herausforderungen.
am Mittwoch, 24.05.2023 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Unser langjähriger Autor Professor Dr. Manfred Hoffmann wird heute 90 Jahre alt. Wir wollen von ihm wissen, wie sich die Rinderfütterung in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Sieben Fragen an ihn.

Unser langjähriger Autor, Prof. Dr. Manfred Hoffmann wird heute 90 Jahre.

Professor Manfred Hoffmann hat seine aktive Berufszeit der Rinderfütterung verschrieben. Aber auch danach blieb er als Berater und Autor weiterhin in der Praxis– bis heute.

Wie hat sich die Wiederkäuerfütterung in den letzten 70 Jahren verändert?

Die Milchleistung der Kuhbestände hat sich mehr als verdoppelt. Da mussten sich auch die Rationen anpassen. In den 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts war die Futterbasis im Winter Heu, Stroh, Spreu und Futterrüben oder Wrucken. Einige Betriebe fütterten Zuckerrübenblattsilage. Im Sommer nutzte man die Weide, aber in den meisten Betrieben war Grünfutter im Stall die Grundlage. Wer den Futterbau beherrschte, garantierte mit einer Vielzahl von Futterarten, dass die Tiere von April bis November mit Frischfutter versorgt werden konnten.

Wann begann die Silagefütterung auf den Betrieben?

In den 60er Jahren begann man Heu durch Grassilage zu ersetzen. Und Ende der 60er Jahre kam die Maissilage hinzu. Mais wurde bis dahin ausschließlich als Körnermais eingesetzt. In den meisten Betrieben wurde in den Rationen im Sommer Grünfutter, regional auch als Weide genutzt und eine bestimmte Menge Mais als stabile Komponente zugefüttert.

In den letzten 30 Jahren ist die ganzjährige Silagefütterung mit hohem Konzentrateinsatz der bestimmende Rationstyp in nahezu allen Regionen Deutschlands. Die Weidehaltung ist sehr zurückgegangen und Grünfutter wird nur in wenigen Betrieben eingesetzt. Maissilage dominiert das ganze Jahr. Die Rinderfütterung ist etwas „monolithisch“ geworden.

Sehen Sie hier einen Änderungsbedarf?

Angesichts der veränderten Klima- und Witterungseinflüsse muss es bei den Rationstypen meines Erachtens eine gewisse Kehrtwende geben. Dazu gehört ein verstärkter Grünfuttereinsatz im Stall oder durch Weidegang. Dabei lassen sich vielfältige Grünfutterarten nutzen, um den Standort zum Beispiel hinsichtlich der Wasserverfügbarkeit optimal zu nutzen. Maissilage wird auch künftig eine stabile Komponente bleiben. Grassilage kann in Winterrationen teilweise durch getrocknetes Grünfutter ersetzt und die Fütterung damit risikoärmer gemacht werden.

Was war Ihrer Meinung nach die größte positive Veränderung in diesem Zeitraum?

Der Computer und die Fortschritte der Digitalisierung hat die Fütterung enorm vorangebracht. Ich erinnere an die lineare Optimierung in den 80er Jahren, durch die man die Rezepturen optimieren konnte. Besonders die technische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten hat es ermöglicht, sowohl bei den Bedarfsnormen als auch bei den Futtermitteln eine Vielzahl von Daten direkt für die praktische Fütterung nutzbar zu machen.

Wie sehen Sie die Gesamtmischration oder auch totale Mischration (TMR) genannt?

Das war eine entscheidende Wende! Als 1969 der erste Kuhstall für nahezu 2.000 Tiere mit Gesamtmischrationen in Mecklenburg seine Arbeit aufnahm, begann eine neue Ära. Das war auch für die Tierernährungswissenschaft herausfordernd. Da ging es um Fragen, wie die Strukturwirksamkeit in Mischrationen oder Rationsoptimierung für Leistungsgruppen. Als in den 90er Jahren der mobile Mischwagen eingeführt wurde das Prinzip erweitert und wurde bis jetzt noch durch nichts übertroffen.

Welche Themen haben Sie während Ihrer Laufbahn besonders umgetrieben und warum?

Ich habe mein Diplom 1957 gemacht und 1961 in Rostock promoviert. In den mehr als 65 Jahren meiner beruflichen Tätigkeit haben mich besonders drei Themen in der Tierernährung nicht mehr losgelassen. Das erste war das ß-Carotin. Hierüber habe ich meine Dissertation geschrieben. Dabei hatte ich das Glück, dass ich die ganze Entwicklung dieses sekundären Pflanzeninhaltsstoffes erleben konnte. Als Vorstufe des Vitamin A, seiner besonderen Rolle bei der Fruchtbarkeit der Rinder und seiner Bedeutung als Antioxidans. Daraus entwickelte sich mein Interesse für den oxidativen Stress und seiner Rolle in der Rinderfütterung.

Ein wichtiges Thema, das man mit Ihnen verbindet, ist die strukturwirksame Rohfaser.

Das hatte mit den Gesamtmischrationen zu tun. Ab etwa 1970 haben wir in Leipzig in Zusammenarbeit mit Prof. Piatkowski aus Dummerstorf die Strukturwirksamkeit von Milchviehrationen intensiv bearbeitet. Das System der strukturwirksamen Rohfaser wurde und wird noch heute in vielen Betrieben verwendet.

Ein weiteres Thema beschäftigt mich bis heute: Harnstoff als Futterquelle. Hier begannen wir mit sogenannten Amidschnitzeln. Das sind industriell hergestellte Trockenschnitzel mit versetztem Harnstoff. Später kam der Harnstoff in Strohkonzentrat-Gemischen und in maissilagebetonten Rationen zum Einsatz. Mich fasziniert es, wie Wiederkäuer mit ihrer Mikroflora und -fauna im Pansen Zellulose und eben auch Harnstoff zu Milch und Fleisch umsetzen. Und ich bin davon überzeugt, dass das ein wesentlicher Faktor sein kann, um die Weltbevölkerung zu ernähren.

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