Ein neuer Trend schwappt über die USA: Kuhmilch aus dem Labor. Ganz ohne Kuh. Statt aus einem Euter fließt die so genannte Milch bloß aus einem Edelstahltank. Erste Produkte aus zellulären Milchproteinen sind bereits auf dem amerikanischen Markt. Die Hersteller machen große Versprechen.
So sollen die Milchprodukte aus dem Labor nicht nur wie echte Kuhmilchprodukte schmecken, sondern auch noch umweltfreundlicher und bald günstiger als Milchprodukte vom Landwirt sein. Für Milchviehhalter könnte die künstliche Milch ein echtes Konkurrenzprodukt werden. Aber der Reihe nach.
„Die Gene der Kuh sind in den Mikroorganismen drin“

Die Technologie, um künstliche Kuhmilch herzustellen, heißt Präzisionsfermentation. „Hier stellen wir präzise ein einziges Produkt her. Zum Beispiel ein Milchprotein, wie etwa ein Molkenprotein oder ein Kasein“, sagt Grzegorz Kubik. Um Milchproteine im Labor herzustellen, braucht man Mikroorganismen. Das sind zum Beispiel Hefen oder Bakterien. „Das Schöne ist, dass sich Mikroorganismen von sich aus vermehren“, sagt Grzegorz Kubik. Man braucht nur wenige Hefezellen oder Bakterien, um viel Milchprotein herzustellen.
„Wir sind technisch so weit, dass wir die Gene der Kuh, welche die Milchproteine kodieren, synthetisch im Labor herstellen können.“ Mit der Genschere Crispr/Cas ist es möglich, Gensequenzen der Kuh fest in das Genom von Mikroorganismen einzufügen.
Wenig Wasser: künstliche Milch braucht nur wenig in der Produktion
Damit die Mikroorganismen wachsen, werden sie mit Zucker, Vitaminen, Wasser und Salzen versorgt. Der Prozess findet in großen Stahlkesseln statt. „Wichtig ist, dass sich die Mikroorganismen wohlfühlen, das ist häufig bei 30 bis 40 °C der Fall“, sagt Grzegorz Kubik. „Nach ein paar Tagen kann das Milchprotein geerntet, gereinigt und zu Pulver getrocknet werden.“
Die Trocknung macht die Proteine lagerstabil und erleichtert den Transport. „Die getrockneten Milchproteine können weiterverarbeitet werden – etwa zu Milch, Joghurt und Käse. Ein Vorteil der Milch aus dem Labor ist der geringe Wasserverbrauch. „Erste Schätzungen rechnen damit, dass mit Mikroorganismen bis zu 90 Prozent Wasser eingespart werden kann, im Vergleich zur herkömmlichen Milchproduktion.“
USA: Mars verkauft Schokolade mit künstlichen Milchproteinen

Der Markt für künstliche Milchprodukte ist gerade erst am Kommen. In den USA sind bereits erste Milchprodukte mit Proteinen aus dem Labor auf dem Markt. So verkauft das Start-up Perfect Day aus Berkeley in Kalifornien Eiscreme, Milch, Frischkäse, Schokolade und Protein-Smoothies mit zellulären Milchproteinen in über 5.000 US-Supermärkten.
Mars brachte letzten Sommer die erste Schokolade mit Milchproteinen von Perfect Day namens „CO2CAO“ auf den US-Markt. Nestlé verkauft in San Francisco Milchgetränke unter der Marke Cowabunga mit Proteinen von Perfect Day. Und General Mills brachte im Januar 2023 eine Frischkäse-Linie auf den US-Markt mit zellulären Milchproteinen von Remilk. Das Start-up baut in Kalundborg, Dänemark, gerade die weltgrößte Präzisionsfermentationsanlage auf rund 70.000 Quadratmetern.
Allgäuer Molkerei Hochland investiert in Labormilch
Die Allgäuer Familienkäserei Hochland ist an Remilk beteiligt. „Hochland sieht die Minderheitsbeteiligung an Remilk als Chance, um frühzeitig die Möglichkeiten dieser Technologie für die Entwicklung von Nahrungsmitteln kennen zu lernen“, sagt Hubert Staub, Vorstand von Hochland. „Eine separate Produktlinie mit diesem neuen Rohstoff könnte in Zukunft eine interessante Ergänzung unseres klassischen Käsesortiments sein.“
„Nach unserer Einschätzung werden vermarktungsfähige Produkte in Deutschland nicht vor 2025 vorliegen“, sagt Hubert Staub. Da sollten Milchbauern hellhörig werden. Denn für Milchviehhalter könnte die zelluläre Milch ein echtes Konkurrenzprodukt werden, vermutet Dr. Grzegorz Kubik.
Labormilch: günstig in der Herstellung, künftig billiger als echte Kuhmilch?

„Immer mehr Menschen möchten sich ganz oder teilweise ohne tierische Lebensmittel ernähren“, sagt Hubert Staub von Hochland. „Ob Verbraucher diese Produkte tatsächlich nachfragen werden, wird sich zeigen, wenn diese im Handel sind.“ Die Nachfrage hängt auch vom Preis ab. Anfangs wird die zelluläre Milch zwar teurer als echte Kuhmilch sein, schätzt Biotechnologe Kubik.
„Da die Präzisionsfermentation aber günstig in der Herstellung ist, kann es sein, dass die Milch aus dem Labor irgendwann billiger als echte Kuhmilch ist.“ Dr. Grzegorz Kubik vermutet jedoch: „Es wird immer Verbraucher geben, die die echte Kuhmilch wollen.“
Bald keine Landwirtschaft mehr in Deutschland?
Die Präzisionsfermentation werde auch nicht dafür sorgen, dass es in Deutschland irgendwann keine Landwirtschaft mehr gibt. „Die Technologie bietet uns vielmehr neue Möglichkeiten mit dem fruchtbaren Land, das wir haben, effizienter zu wirtschaften“, sagt Biotechnologe Kubik. „Für die Präzisionsfermentation brauchen wir Zucker.“ Den Zucker liefern zum Beispiel Mais- und Zuckerrohrpflanzen.
In Zukunft gebe es zwar die Möglichkeit, statt Zucker andere Kohlenstoffquellen zu verwenden, etwa Methanol. „Methanol kann man aus dem klimaschädlichen CO2 gewinnen“, sagt Dr. Grzegorz Kubik. So könnte man die Milchbestandteile künftig auch aus CO2 herstellen. Das mache die Technologie noch umweltfreundlicher. „Aber die Kopplung an die Landwirtschaft können wir nicht zu 100 Prozent aufheben“, so der Biotechnologe.
Hochland geht davon aus, dass auch in Zukunft die Nachfrage nach echter Milch und Milchprodukten hoch ist. „Solange es uns gelingt, Handel und Verbraucher für unsere Milchprodukte zu begeistern“, sagt Hubert Staub.
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