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Milchproduktion

Liberalisierter Milchmarkt: Chancen ergreifen, Risiken begrenzen

am Dienstag, 14.09.2010 - 16:41 (Jetzt kommentieren)

Rendsburg - Das mit der Liberalisierung des Milchmarktes einhergehende Preisrisiko ist eine Herausforderdung, der sich Molkereien und Milchbauern im Norden Deutschlands stellen müssen.

Diese Aussage zog sich wie ein roter Faden durch eine Kundgebung der Milcherzeugervereinigung Schleswig-Holstein, die traditionell zum Auftakt der Norddeutschen Landwirtschaftlichen Ausstellung (Norla) in Rendsburg stattfindet. Für Präsident Werner Schwarz vom Bauernverband Schleswig-Holstein kommt es insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten darauf an, Rahmenbedingungen zu installieren, die den Milcherzeugern Raum geben, die Chancen des Marktes zu nutzen und Vorsorge für schwierige Zeiten zu treffen.

"Ich warne jeden davor zu meinen, mit dem Wegfall der Quote sei ein freies Produzieren möglich", betonte Schwarz vor rund 150 Berufskollegen in Rendsburg, wo er ein Thesenpapier des Verbandes zur Milcherzeugung vorstellte.

Neue Beschränkungen zu erwarten   

Möglich sei sicher ein freieres Produzieren als bisher; man werde aber aus "allen möglichen Ecken heraus" neue Beschränkungen und Auflagen zu erwarten haben. Hier bleibe der Berufsstand gefordert, die Interessen der Milcherzeuger zu verteidigen. Peter Lüschow sieht als Vorsitzender der Milcherzeugervereinigung die schleswig-holsteinischen Meiereien in der Pflicht, sich im Markt zu bewegen und zu bestehen. "Im Norden haben wir eine expansionswillige Arla, im Westen Friesland-Campina, zwei global aufgestellte Unternehmen, die fest im Markt verankert sind", erklärte Lüschow. Gleichzeitig bilde sich mit der Nordmilch-Humana auch ein sehr großer Milchverarbeiter, der aber noch nicht an die Konkurrenz aus Dänemark und den Niederlanden heranreiche. Für Lüschow ist es angesichts einer weiter steigenden Milchmenge in Schleswig-Holstein nur eine Frage der Zeit, wann Arla in die milchreiche Region im Norden Deutschlands vorstoßen wird.

Zu große Hürde

Das auch für die schleswig-holsteinische Milchwirtschaft katastrophale Jahr 2009 hat nach Überzeugung von Dr. Uwe Steffin vom Berliner Büro für Marktanalyse und Risikomanagement (agriskom) nur einen Vorgeschmack darauf gegeben, worauf sich Milcherzeuger in Sachen Milchgeldschwankungen künftig einstellen müssen. "Ein Preisband zwischen 20 Cent pro Kilogramm und 40 Cent pro Kilogramm wird zur Normalität", sagte der Unternehmensberater voraus. Bisher würden die Preisrisiken von Verarbeitern und Molkereien an die Erzeuger als erstem Glied der Wertschöpfungskette durchgereicht. "Daher haben die Milchbauern den größten Bedarf an Instrumenten zur Preisabsicherung", stellte Steffin fest. Seit an der Eurex Kontrakte für Butter und Magermilchpulver auf Termin gehandelt würden, gebe es auch die Möglichkeit, Preisrisiken über die Terminbörse zu transferieren. Bisher könnten in Frankfurt nur Pulver und Butter auf Termin gehandelt werden, nicht aber Rohmilch. Dieser "Umweg" über die in der Milch enthaltenen Verarbeitungsprodukte stelle für viele Milchbauern kurzfristig eine zu große Hürde dar.

Über Basis-Kontrakte nachdenken

Steffin sieht vor diesem Hintergrund die in Schleswig-Holstein überwiegend genossenschaftlich organisierten Molkereien in der Pflicht, als Dienstleistung für ihre Mitglieder Preisabsicherungsmöglichkeiten anzubieten. Das Warentermingeschäft werde gedanklich als "Dach" auf das vertraglich zwischen Erzeuger und Molkerei vereinbarte Liefergeschäft aufgesetzt. Der Terminverkauf sei dabei lediglich eine Finanztransaktion, bei der keine Ware physisch bewegt werde. "Deshalb kollidiert das Termingeschäft auch nicht mit dem genossenschaftlichen Prinzip", betonte der Gastredner. Die Molkereien sollten darüber nachdenken, ihren Lieferanten künftig die bei der Vermarktung von Getreide und Raps längst üblichen Basis-Kontrakte anzubieten, bei denen Preisfindung und Warenfluss voneinander getrennt seien. "Diskussionen um den richtigen Preis gehören bei solchen börsenbasierten Vorverträgen der Vergangenheit an", so der Risikomanagement-Berater. Mit einem Basis-Kontrakt werde das Preisrisiko vom Erzeuger zur Molkerei transferiert, die sich wiederum an der Börse absichern könne.

Politik als Schiedsrichter

In seinem Thesenpapier zur Milcherzeugung zeigt sich der Bauernverband Schleswig-Holstein davon überzeugt, dass für den wirtschaftlichen Erfolg der Milchviehhalter künftig in erster Linie der Markt verantwortlich ist, nicht mehr die Politik. Mit dem Wegfall der Milchquote und dem Entlassen der Milchwirtschaft in den Markt hätten weder Verbände noch Politik die Möglichkeit, grundsätzlich preisbestimmend in den Markt einzugreifen, hob Präsident Schwarz hervor. Molkereien wie Milcherzeuger müssten lernen, mit schwankenden Märkten umzugehen. Die Politik habe die Milcherzeuger den Marktkräften ausgesetzt; nun dürften keine einseitigen Belastungen durch wettbewerbsverzerrende Maßnahmen kommen. "Politik darf im Markt nicht mitspielen, sie muss der Schiedsrichter sein", unterstrich Schwarz. Mit den Eurex-Terminkontrakten auf Butter und Magermilchpulver gebe es neuerdings ein Instrument, das eine Preisabsicherung möglich mache. "Wir sehen einen Nutzen in erster Linie für die Meiereien, wollen aber diesen für Milcherzeuger nicht ausschließen", sagte Schwarz. Geschäfte an Warenterminbörsen seien aber nicht risikolos und setzten gute Kenntnisse der Börsenmechanismen und des Marktes voraus.

Mehr Marktmacht durch Erzeugergemeinschaften?

Das genossenschaftliche Modell mit unbegrenzter Andienungs- und Abnahmepflicht hält der Verbandspräsident für zukunftsorientiert. Es biete Milcherzeugern und Meiereien ein Höchstmaß an gegenseitiger Verlässlichkeit. Das Genossenschaftsgesetz biete zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterentwicklung, ohne diesen Grundsatz in Frage zu stellen. "Daher lehnen wir Forderungen ab, neben den bestehenden Satzungen noch zusätzlich Lieferverträge zu stellen", stellte Schwarz klar. Gleiches gelte für die Diskussion, die Marktmacht der Erzeuger durch Bildung von Erzeugergemeinschaften zu stärken. Eine Genossenschaft sei von ihrem Ursprung her eine klassische Erzeugergemeinschaft. Ein Vorschalten einer Erzeugergemeinschaft vor eine Genossenschaft mache daher keinen Sinn. Die Genossenschaft sei die Rechtsform, in der die Milcherzeuger als Unternehmensanteilseigner den größtmöglichen Einfluss hätten. Allerdings setzte dies voraus, dass die Einflussmöglichkeiten auch genutzt würden. (AgE)

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