Die Kälbergrippe hat jetzt Hochsaison. Schuld ist das Wetter. Viel Luftfeuchtigkeit und starke Temperaturschwankungen schwächen das Immunsystem der Kälber. Hinzu kommt, dass ihre Immunabwehr in den ersten Lebenswochen noch nicht voll ausgebildet ist.
„Über die Biestmilch nimmt das Kalb zwar maternale Antikörper auf, aber sie werden innerhalb der ersten acht Lebenswochen des Tieres immer weniger“, sagt Prof. Dr. Kerstin Müller von der Klinik für Klauentiere der Freien Universität Berlin.
Stress schwächt das Immunsystem der Kälber
Neben dem Wetter kann auch Stress die Kälbergrippe auslösen. Stressfaktoren sind Tiertransporte, die Zusammenführung zu Kälbergruppen, das Enthornen, das Umstallen und die Umstellung auf ein automatisches Tränkesystem.
Auch das Absetzen der Kälber, besonders dann, wenn mehrere Risiken gleichzeitig vorliegen, kann zu Stress führen. „Stress schwächt das Abwehrsystem der Tiere und öffnet Viren, Bakterien und Mykoplasmen die Tür“, sagt die Expertin.
Mykoplasmen verbreiten sich unbemerkt in der Herde

Mehr als 20 Virusarten wurden bei Kälbern im Zusammenhang mit Atemwegserkrankungen nachgewiesen, zum Beispiel das Bovine Respiratorische Synzytial-Virus (BRSV). „Die Viren schädigen die Barrieren, die den Atmungstrakt vor einer bakteriellen Infektion schützen.“
Auf diese Weise sind sie Wegbereiter für Bakterien. Etwa Mykoplasmen. „Diese bereiten uns die größten Bauchschmerzen“, sagt Dr. Kerstin Müller. Allen voran Mycoplasma bovis. Häufig vom Landwirt unbemerkt, verbreiten sich diese Erreger im Bestand.
Mykoplasmen: Antibiotika wirken nur begrenzt
Was passiert, wenn ein Kalb mit mykoplasmenhaltiger Milch getränkt wird? Zunächst führt das zur Besiedelung der Schleimhäute von Nase und Rachen. Sind die Abwehrkräfte des Kalbs geschwächt, gelangen die Mykoplasmen in das Mittelohr und zur Lunge. Dort können sie schwere Lungen- und Mittelohrentzündungen verursachen.
Das Problem: Eine antibiotische Behandlung hilft nur begrenzt. Mykoplasmen sind sehr kleine Bakterien ohne Zellwand. Deshalb weisen sie eine natürliche Resistenz gegenüber Antibiotika auf, die gegen die Zellwand gerichtet sind, Penicilline beispielsweise wirken nicht.
Temperaturschwankungen begünstigen Mykoplasmen
Gerade beim Kalb besteht ein großes Risiko, dass befallene Lungenregionen nicht komplett ausheilen, sondern Spätschäden bleiben. Dazu gehört die Bildung von Abszessen, der Verlust der Elastizität der Lunge und das Festwachsen der Lunge am Brustfell.
„Kommt ein Tier, das als Kalb eine schwere Lungenentzündung hatte, als Färse zum Kalben, dann können solche Entzündungen wieder aufbrechen“, sagt Dr. Kerstin Müller.
Die Mykoplasmen können ihre schädliche Wirkung jedoch nur dann entfalten, wenn mehrere Risikofaktoren gleichzeitig auf das Kalb einwirken. In einem Versuch haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Mykoplasmen-positive Kälber erst dann an der Lunge erkrankten, wenn zusätzlich eine Temperaturschwankung von über 10 °C bestand.
Mykoplasmen: Bisher kein Impfstoff in Deutschland
Dass Mykoplasmen nicht harmlos sind, sieht man auch am Beispiel Neuseeland: „Der Inselstaat will alle Mykoplasmen-positiven Kühe schlachten, das sind rund 300.000 Tiere", sagt die Expertin.
Für Mycoplasma bovis gibt es in Deutschland zurzeit keinen zugelassenen Impfstoff.
Das wirksamste Mittel, um Erkrankungen mit Mykoplasmen zu minimieren, ist, Stress möglichst gering und das Abwehrsystem der Kälber möglichst widerstandsfähig zu halten.
Wie Sie das Immunsystem der Kälber stärken, lesen Sie in der April agrarheute Rind ab Seite 22.
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