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Interview

Trockenstellen ohne Antibiotika: So geht's

Tierärztin Tanja Sonnewald-Daum
am Dienstag, 08.10.2019 - 10:22 (Jetzt kommentieren)

Wie funktioniert das selektive Trockenstellen? Und wann genau kann man auf Antibiotika verzichten? Tierärztin Tanja Sonnewald-Daum von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) erklärt, wie es geht.

Warum sollte man selektiv trockenstellen? 

Beim selektiven Trockenstellen sollen Kühe mit (sub-)klinischer Mastitis so sicher wie möglich erkannt werden. Der Landwirt entscheidet, gemeinsam mit seinem Hoftierarzt, tierindividuell, wie er die Kuh trockenstellt. Durch ein kontrolliertes Trockenstellmanagement kann der Landwirt gezielt vorgehen und dabei den Antibiotikaeinsatz in seiner Herde steuern und gegebenenfalls reduzieren. Einfach mal so Antibiotika wegzulassen, ist der falsche Ansatz.

Wie funktioniert das selektive Trockenstellen?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, um selektiv trockenzustellen. Im Projekt RAST (Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes beim Milchvieh durch selektives Trockenstellen), einem Kooperationsprojekt der LfL, der Klinik für Wiederkäuer der LMU und dem TGD Bayern e.V. wurde ein dreistufiger Entscheidungsbaum entwickelt. Der Vorteil: Die Eutergesundheit steht im Fokus.

Als Erstes prüft der Landwirt die Zellzahlen der letzten drei Milchleistungsprüfungen (MLP). Hatte die Kuh keine Mastitis in der laufenden Laktation und liegen die Zellzahlen unter 200.000 Zellen/ml Milch, gilt die Kuh zunächst als unauffällig. In Stufe 2 empfehlen wir eine mikrobiologische Untersuchung des Viertelanfangsgemelks, denn Euterinfektionen gehen nicht zwingend mit hohen Zellzahlen einher. Die Probe kann der Landwirt selbst nehmen.

Je nach Befund und Absprache mit dem Hoftierarzt erfolgt eine weitere Einteilung der Kühe nach einem Ampelsystem: Grün – alles o. k., orange – koagulasenegative Staphylokokken oder Corynebacterium bovis, rot – Euterpathogene, wie Staphylococcus (S.) aureus.

Um auf den Einsatz eines Langzeitantibiotikums zu verzichten, müssen alle Euterviertel, als letzte Kontrolle vor dem Trockenstellen, auf sichtbare Veränderungen des Sekrets und Drüsengewebes untersucht werden. Ist der Schalmtest am Tag des Trockenstellens unauffällig (bis Stufe 1), ist die Kuh eutergesund.

Bei welchen Tieren darf beim selektiven Trockenstellen nicht auf Antibiotika verzichtet werden?

Alle Kühe mit Mastitis in der laufenden Laktation, mit Zellzahlen über 200.000 Zellen/ml Milch in den letzten drei MLPs, einem Erregernachweis oder Auffälligkeiten im Schalmtest sollten nach Absprache mit dem Tierarzt mit Antibiotika trockengestellt werden. Zudem sollten Betriebsleiter auch Aspekte auf Herdenebene berücksichtigen: Bei hochansteckenden Keimen, wie Streptococcus (Sc.) canis oder Sc. agalactiae, sollten Landwirte erst eine Betriebssanierung durchführen, bevor sie selektiv trockenstellen.

Wann ist ein Zitzenversiegler sinnvoll?

Generell ist der Zitzenversiegler sehr empfehlenswert – wenn er korrekt angewendet wird. Er verhindert während der gesamten Trockenstehzeit das Eindringen von Mastitiserregern in das Euter. Zitzenversiegler sind für Betriebe mit einer Neuinfektionsrate von über 15 Prozent sinnvoll.

Für welche Herden ist das selektive Trockenstellen geeignet?

Die theoretische Herdensammelmilchzellzahl sollte seit mindestens drei MLPs unter 200.000 Zellen/ml Milch liegen. Zudem sollte es keine größeren Probleme mit Sc. uberis oder S. aureus in der Herde geben. Die Neuinfektionsrate während der Trockenstehzeit sollte unter 15 Prozent liegen. 

Welche Voraussetzungen muss der Betrieb erfüllen, damit das selektive Trockenstellen gelingt?

Neben der Eignung der Herde spielt das persönliche Engagement des Betriebsleiters eine Rolle. Landwirte sollten bereit sein, sich mit den Daten des Landeskuratoriums der Erzeugerringe für tierische Erzeugung in Bayern (LKV) und den Befunden aus den Untersuchungen der Milchproben auseinanderzusetzen. Dabei ist es wichtig, keine Angst davor zu haben, Entscheidungen zu treffen. Im Ernstfall und bei Fragen hilft der Hoftierarzt weiter. Deshalb ist eine enge und gute Zusammenarbeit mit dem Veterinär unerlässlich.

Was kostet das selektive Trockenstellen?

Jeder Betrieb ist anders und wird anders geführt. Deshalb fallen auch die Kosten unterschiedlich aus. Generell kann man sagen, dass jeder Betrieb eine gewisse Arbeitszeit im Büro und Stall veranschlagen muss. Je nachdem, wie eingespielt der Betrieb ist, desto schneller geht das selektive Trockenstellen. Es fallen auch Kosten für die mikrobiologische Untersuchung und für die Schalmflüssigkeit an. Auch Medikamente und der Tierarzt sind mögliche Faktoren, die zu Buche schlagen.

Um wieviel Prozent kann man den Antibiotikaverbrauch reduzieren?

Im RAST-Projekt konnten die 18 teilnehmenden Betriebe den Antibiotika-Einsatz im Durchschnitt um 40 Prozent reduzieren.

Welche Tipps geben Sie Landwirten, damit das selektive Trockenstellen funktioniert?

Legen Sie gemeinsam mit Ihrem Tierarzt ein betriebsindividuelles und für Sie passendes Konzept fest. Dokumentieren und speichern Sie alle nötigen Informationen ab – das spart Zeit und unnötiges Suchen. Kontrollieren Sie regelmäßig, wie gut Ihre Kühe durch die Trockenstehzeit kommen. Und bleiben Sie am Ball. Sobald das neue Verfahren Routine ist, wird es auch ohne Probleme funktionieren.

Vielen Dank für das Interview.

Mehr Informationen über das Projekt „RAST“ und das Folgeprojekt „RAST-Transfer“ finden Sie unter www.lfl. bayern.de/rast-transfer und bei LfL-Mitarbeiterin Melanie.Jakob@LfL. bayern.de.

Mehr zum Thema Trockenstellen und wie gut der Kompoststall für trockenstehende Kühe funktionieren kann, lesen Sie in der Oktober-Ausgabe von agrarheute Rind.

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