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Virtuelles Wasser

Verwirrspiel ums Wasser: Bulle säuft über 11.000 Liter pro Tag

Virtueller Wasserfußabdruck: Jeder dieser Stiere säuft am Tag 11 000 Liter Wasser? Dieser astronomische Wert ergibt sich, wenn man den angeblichen Kilogrammverbrauch an Wasser hochrechnet.
am Sonntag, 01.08.2021 - 05:00 (1 Kommentar)

Ein Kilo Rindfleisch verbraucht angeblich 15.000 Liter Wasser. Von Gegnern der Tierhaltung wird dieser Wert als Verschwendung angeprangert. Doch entscheidende Fakten hinter dieser Zahl bleiben oft unerwähnt, wie Ulrich Graf in der aktuellen Ausgabe (30/2021) des Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts erläutert.

Eines ist klar: Aus dem klassischen Verständnis für den Verbrauch von Wasser lässt sich der Wert von 15.000 Liter je Kilo Rindfleisch nicht erklären. Legt man ihn auf die Tränkemenge um, ergibt das eine astronomische Zahl: Bei einem Schlachtgewicht von 410 kg und einer Mastdauer von 18 Monaten müsste der Jungbulle 6,15 Mio. Liter in seinem Leben saufen. Das ergibt bei 550 Lebenstagen 11.182 Liter pro Tag. Das geht auf keine Kuhhaut.

Der 15.000-Liter-Wert muss also aus einem anderen Zusammenhang stammen. Die Lösung liegt in dem Begriff virtuelles Wasser. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftliche Modellrechnung. Sie legt das national verfügbare Wasserreservoir auf die erzeugten Wirtschaftsgüter um. Bei Rindfleisch geht dabei der auf die Futterfläche niedergehende Regen in die Kalkulation ein. Daraus ergeben sich die großen Zahlen.

Ursprünglich sollte das Modell des virtuellen Wassers helfen, um Wasser zu einem international handelbaren Gut zu machen. Dazu ist es nicht nötig, Wasser in physischer Form durch die Welt zu schippern. Es reicht, die in Wirtschaftsgüter eingebetteten Mengen zu berücksichtigen – vorausgesetzt man weiß, wie viel Wasser in einem Wirtschaftsgut steckt.

Virtuelles Wasser untergliedert sich in drei Kategorien:
  • Grünes virtuelles Wasser aus Niederschlag und natürlicher Bodenfeuchte,
  • blaues virtuelles Wasser für künstliche Bewässerung und
  • graues virtuelles Wasser. Es wird während der Nutzung beeinträchtigt und kann nur bedingt wiederverwendet werden.

Für das Kilogramm Rindfleisch schlüsseln sich die Anteile folgendermaßen auf: 14.414 Liter grünes, 550 Liter blaues und 451 Liter graues Wasser, zum Beispiel für Reinigung und Verarbeitungsprozesse. Macht zusammen 15.415 l/kg Rindfleisch, wobei 93,5 % sich durch die Niederschläge erklären.

Unterschiedliche Eignung der Länder

Die Länderunterschiede für die anrechenbaren Mengen an virtuellem Wasser in der Rindfleischerzeugung sind sehr hoch.

Als wissenschaftliches Standardwerk zu den Kennzahlen für die Landwirtschaft gilt die Studie „Der grüne, blaue und graue Wasserfußabdruck für Nutztiere und Nutztierprodukte“ der Wissenschaftler Mekonnen und Hoekstra aus dem Jahre 2010. Hier den vollständigen Studientitel zu erwähnen, ist insofern von Bedeutung, weil damit zum Ausdruck kommt, auf welcher Basis die Kennzahlen berechnet werden. Geistiger Vater des Konzepts ist der englische Geograf John Anthony Allan. Das Modell geht davon aus, dass es unterschiedliche Standorteignungen für die Produktion von Wirtschaftsgütern gibt. Werden sie dort produziert, wo sie einen geringen Wassereinsatz erfordern und dann international gehandelt, kann das Wasser sparen und damit zum Vorteil aller sein – so die Theorie.

Deshalb erfolgt die Modellierung länderbezogen. Für Brasilien weist das Standardwerk 19.488, für China 13.688, für Indien 16.547, für Russland 17.220, für Saudi-Arabien 23.900 und für die USA 14.191 Liter virtuelles Wasser für ein Kilo Rindfleisch aus. Der deutsche Wert beläuft sich auf 7.712, der für Äthiopien auf 34.182 Liter – eine enorme Spannweite! Der Gunststandort Deutschland würde sich damit als Produktions- und Exportland anbieten.

Untergliedert man den deutschen Wert noch in die Wasserkategorien, so ergibt sich folgende Aufteilung Von den 7.712 l/kg Rindfleisch entfallen 6.675 Liter auf grünes, 138 Liter auf blaues und 900 Liter auf graues Wasser.

Produktionsform übt großen Einfluss aus

In ihrer Studie berücksichtigen die Autoren die Produktionsformen Weidehaltung, Intensivmast und Mischform. Daraus ermitteln sie ein gewichtetes Mittel, das für den obigen Ländervergleich herangezogen wurde. Auch hier zeigen sich enorme Unterschiede. Für Weidehaltung in Äthiopien schlagen 100.967 l/kg Rindfleisch zu Buche, für die Intensivmast in den USA 3856. Die deutschen Zahlen lauten 12 229 für die Weidehaltung und 5.991 l/kg Rindfleisch für die Intensivmast. Das gewichtete Mittel aus beiden liegt bei den schon genannten 7.712 l/kg Rindfleisch.

Über die Intensivmast lässt sich also, im Vergleich zur extensiven Weidehaltung unter deutschen Bedingungen, die virtuelle Wassermenge in etwa halbieren. Ähnliches gilt auch für andere Länder. Das entspricht dem gängigen Muster von Wirtschaftsmodellen. Mit einer Intensivierung steigt der Ausstoß. Damit wird eine bessere Faktorverwertung erzielt.

Die Modellierung eines Wasserfußabdrucks anhand von virtuellem Wasser liefert anschauliche Zahlen. Als Kernfrage verbleibt jedoch, wie diese zu interpretieren sind. Entspricht der Begriff Wasserfußabdruck dem reellen Wasserverbrauch? Und inwieweit eignet sich ein nach einem Ökonomiemodell berechneter Wasserfußabdruck tatsächlich für eine ökologische Bewertung?

Was heißt eigentlich Verbrauch?

Weidehaltung weist gegenüber der Intensivmast rund den doppelten Wert auf.

Verbrauch lässt sich immer gut ermitteln, wenn es Ausgangsstoffe und ein davon abweichendes Endprodukt gibt: Öl etwa ist nach der Verbrennung schlicht weg. Etwas kniffelig ist das bei Wasser. Zum einen ist es mobil. Es kann abfließen, verdunsten oder sich im Boden verlagern. Zum anderen wird Wasser bei seiner Nutzung nicht unmittelbar abgebaut. Bei der Verdunstung über Pflanzen ändert es lediglich der Aggregatzustand von flüssig in gasförmig.

Vor allem die Eigenschaft der Mobilität kann für konträre Einschätzungen sorgen, was unter Verbrauch zu verstehen ist. Verdunstet Wasser, gilt es für den Menschen aus wirtschaftlicher Sicht als verloren, weil es seiner Nutzung entzogen ist. In ökologischer Hinsicht ist die Verdunstung ein elementarer Baustein von Wasserkreisläufen und bedeutet keinen substanziellen Verlust.

Es gibt also eine ökonomische und eine ökologische Betrachtungsweise. Ökonomen interessiert, wie effizient natürliche Ressourcen zur Fertigung von Wirtschaftsgütern genutzt werden. Einsparungen bringen hier bares Geld oder zumindest einen Wettbewerbsvorteil.

Die Natur hingegen bewegt sich in Kreisläufen. Sie weiß mit Wasser in der Dampfphase genauso viel anzufangen, wie in flüssiger Form. Wichtig ist, dass die Kreisläufe sich schließen. Nachdem es in einem Kreis aber keinen Anfang und kein Ende gibt, kann man hier auch keine Einsparungen realisieren.

Was auf der Futterfläche passiert

Bei der Erzeugung von Rindfleisch entfällt der Löwenanteil des Wassers auf die Futterfläche. Deshalb ist es wichtig zu betrachten, was auf Grünland und Äckern passiert. Pflanzen nehmen das Regenwasser über die Wurzeln auf. Nach Entzug der für sie wichtigen Nährstoffe geben sie das dann gefilterte Wasser über die Blätter an die Atmosphäre ab. Als Dampf steigt es hoch, kühlt ab, kondensiert zu Wolken und kommt als Regen wieder auf die Erde zurück. Das ist ein Kreislauf, der als Nebeneffekt die Erdoberfläche kühlt und zu einer stetigen Reinigung des Wassers führt. Diesen Vorgang als Verbrauch oder Verlust zu bezeichnen, führt in die falsche Richtung, zumindest aus ökologischer Sicht.

Meister in der Kreislaufdisziplin ist der Regenwald. Er macht so viel Dampf, dass er seinen eigenen Regen erzeugt. Dabei verfährt er relativ großzügig. Auch angrenzende Bereiche bekommen etwas ab. Das ist vor allem dann von Bedeutung, wenn die angrenzenden Gebiete keinen direkten Zustrom an feuchter Meeresluft haben.

Durchschnittszahlen verwässern Aussagekraft

Wird das Modell des virtuellen Wassers als Kriterium für Wasserfragen herangezogen, ist es wichtig, dies möglichst differenziert zu tun, also innerhalb der nationalen Werte die Produktionsform zu berücksichtigen und diese wieder nach Wasserkategorien aufzuschlüsseln. Dennoch kursieren bei den Angaben zum virtuellen Wasser meist internationale Durchschnittszahlen. Das führt das Konzept eigentlich ins Absurde, weil es als Werkzeug zur Differenzierung geschaffen wurde, also nach Nationen, Produktionsformen und Wasserkategorien zu unterscheiden. Durchschnittswerte verschleiern die Unterschiede.

Warum ist das so? Aufschlussreich ist es hier zu betrachten, wer gerne mit den wenig aussagefähigen Durchschnittswerten operiert. So dürfte die Wirtschaft wenig Interesse daran haben, nach grünem, blauem und grauem virtuellem Wasser zu unterscheiden. Sie nutzt vor allem blaues Wasser in Trinkwasserqualität, was dessen verfügbare Menge verringert und erzeugt dabei große Mengen an grauem Wasser.

Die Landwirtschaft bewegt sich hingegen primär im Bereich des Niederschlagswassers, das nach wie vor in natürliche Kreisläufe eingebunden bleibt. Fällt dieser Unterschied unter den Tisch, eröffnet das der Industrie die Möglichkeit zu verharmlosen: „Schaut her, die Produktion einer Batterie braucht nicht mehr Wasser als ein paar hundert Gramm Schnitzel beanspruchen.“

Einige Umweltverbände haben sich darauf verlegt, apokalyptische Visionen von der Landwirtschaft zu zeichnen. Sie nutzen deshalb bevorzugt große Zahlen, wenn es um den Ressourcenbedarf geht. Nachdem der deutsche Wert nur halb so groß ist wie der globale, erübrigt sich die Frage, welche Zahl herangezogen wird. Außerdem dürfte diesen Umweltverbänden die Aussagen zur Produktionsform, bei denen intensive Formen deutlich besser abschneiden als extensive, nicht ins Konzept passen. Es kann ja nicht sein, was nicht sein darf.

Kein Sondereffekt Fleisch

Für den großen Eintrag an Wasser im virtuellen Wassermodell sorgen die pflanzlichen Produkte, weil auf sie die Niederschläge umgelegt werden. Für Weizen sind das 1.827 m³ Wasser/t, für Reis 1.673 m³ Wasser/t und für Mais 1.222 m³ Wasser/t im globalen Durchschnitt. Umgerechnet auf das bei uns übliche Maß heißt das, 1.827 Liter pro kg Weizen, 1.673 Liter pro kg Reis und 1.222 Liter pro kg Mais.

Die auf Fleisch anrechenbaren Mengen ergeben sich aus dem in der Veredlung üblichen Skalierungseffekt, also aus der Rationsgestaltung beziehungsweise wie viele kg an einzelnen Futtermitteln für das Erzeugen eines Kilo Fleisch benötigt werden. Der direkte Wasserbedarf der Tiere kommt dabei nur in geringem Umfang zum Tragen. Für Schweinefleisch beträgt der Wasserfußabdruck beispielsweise 4.361 Liter pro kg für den globalen Durchschnitt. Für deutsches Schweinefleisch ist dem Zahlenwerk ein Wert von 3.074 Liter pro kg Schlachtgewicht zu entnehmen.

Einen über die üblichen Skalierungseffekte hinausgehenden Bedarf an Wasser in der Mast abzuleiten, ist über das Modell nicht möglich. Dass dennoch häufig ein anderer Eindruck entsteht, dürfte daran liegen, dass die Zahlen zur pflanzlichen Erzeugung kaum thematisiert werden. Auch hier findet damit eine gewisse Wahrnehmungsverzerrung statt. Über die Thematisierung beziehungsweise deren Unterlassen, wird der Debattenraum in einem engen Korridor gestaltet.

Selbst wer sich vegan ernährt, wird sich nicht von den großen Zahlen für den Wasserfußbadruck aus dem virtuellen Modell befreien können. Ein häufig in diesem Zusammenhang zitierter Wert ist der für Kaffee. Er beträgt 21.000 Liter Wasser pro kg Kaffee, übersteigt also noch den von Rindfleisch.

Letztendlich bleibt, wie bereits angesprochen, entscheidend, wie die Transpiration der Vegetation einzustufen ist. Je nachdem ob man sie als Verlust, neutral oder sogar Gewinn einstuft, ergibt das extrem unterschiedliche Einschätzungen zu den Wasserbilanzen.

Diesen Artikel und zusätzliche Informationen rund um virtuelles Wasser lesen Sie in der aktuellen digitalen Ausgabe (30/2021) des Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts.

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