
Das Thema Schwanzbeißen und Ohrrandnekrosen bei Aufzuchtferkeln und Mastschweinen hat unsere Tierarztpraxis auch im Jahr 2022 intensiv beschäftigt. Zwei Fälle waren dabei besonders interessant, da sie auf der einen Seite sehr ähnlich sind und auf der anderen Seite nicht unterschiedlicher hätten sein können.
Schwanzbeißen: Konventionell versus Bio
In beiden betroffenen Betrieben zeigte sich ein sehr ähnliches klinisches Bild. Dazu gehörten: Schwanzbeißen, Ohrrandnekrosen, Appetitlosigkeit, vermindertes Wachstum und vermehrte „Einzeltierschicksale“, sprich eine verminderte Immunität und somit mehrere Einzeltiererkrankungen. Beide Betriebe unterschieden sich aber grundlegend in ihrer Ausrichtung:
- Betrieb A wirtschaftet in größerem Maßstab konventionell. Hier wurde das Geschehen am Ende der Ferkelaufzucht auffällig.
- Betrieb B wirtschaftet ökologisch mit etwa 1.500 Mastplätzen. Hier zeigten die Tiere gleich am Anfang in der Vormast die beschriebenen Symptome.
Die eine Anlage entsprach also den gesetzlichen Minimalanforderungen; in der anderen hatten die Tiere Auslauf, Suhlen, Stroh, Heuraufen, Sonnensegel usw. Interessant war, dass von beiden Betriebsleitern der Aspekt Beschäftigungsmaterial mit als Erstes ins Spiel gebracht wurde. Für mich als Tierarzt mit Einblick in beide Fälle stand dieser Punkt auf der Prioritätenliste relativ weit hinten.
Schwanzbeißen im konventionellen Betrieb: Futter als Ursache
Das Schwanzbeißgeschehen im konventionellen Betrieb (Betrieb A) trat früher im Jahr auf. Wir haben Tiere zur pathologischen Untersuchung entnommen, Futter- und Wasserproben gezogen sowie mithilfe von Rauchpatronen und Lüftungstechnikern die Lüftung überprüft. Beim Stallklima zeigten sich kaum Abweichungen, die zu einem derart starken Krankheitsgeschehen führen konnten. Die pathologisch untersuchten Tiere zeigten zunächst nahezu keine direkten Auffälligkeiten. Genauer hingeschaut, ließen sich eine leichte Rötung im Darm, ein weniger als halbvoller Magen und ein nur geringer Muskelansatz erkennen.
Der Landwirt hatte parallel dazu begonnen, repräsentative Anteile der Ferkelgruppen wöchentlich zu wiegen. Nach drei Wochen konnte er nachweisen, dass die Tageszunahmen erheblich von der Norm abwichen. In der Zwischenzeit ließen wir die Futterproben genau unter die Lupe nehmen – wobei uns vor allem die Futterstruktur, das Aminosäureprofil und das Vorkommen von Mykotoxinen wichtig war. Die Tiere bekamen zusätzliche Baumwollseile, Jutesäcke, Weichhölzer, Papiersäcke und vieles mehr, doch nichts hat geholfen. Der Landwirt und seine Mitarbeiter waren frustriert. Nach etwa vier Wochen wurde es immer schlimmer und die Mastferkel wurden mit 4 bis 7 kg weniger Ausstallgewicht verkauft. Dies geschah in der selben Aufzuchtzeit wie sonst.
Die Ergebnisse aus den Futteruntersuchungen zeigen: Das Alleinfuttermittel sollte eigentlich 13,5 g Lysin pro Kilogramm beziehungsweise 1,35 Prozent enthalten. Die Analyse ergab jedoch nur 8,5 g. Für die erstlimitierende Aminosäure Lysin ist dies ein erhebliches Defizit. Auch weitere Futtermittelproben zeigten ähnliche Abweichungen. Daraufhin wurde sofort auf ein anderes Alleinfutter für die Ferkel umgestellt.
Im Ergebnis erholte sich der Bestand wieder, sodass nach etwa sechs Wochen Normalität einkehrte. Unter dem Strich hatte der Betrieb infolge des Fütterungsdefizits rund zehn Wochen Probleme, die auch zu nicht unerheblichen wirtschaftlichen Einbußen führten. Gleichzeitig war diese Situation für alle Beteiligten auch ein einschneidendes Erlebnis aus psychologischer Sicht.
Biobetrieb: Auch hier Lysinmangel

Der Fall im Biobetrieb (Betrieb B) ereignete sich etwas später im Jahr. Lüftungsüberprüfungen spielten hier eine untergeordnete Rolle, da die Schweine in ehemaligen Rinderställen untergebracht waren und ständig in ihre Außenbereiche konnten. Eine klassische Lüftung wie im konventionellen Stall war also nicht vorhanden. Die Schweine hatten selbstverständlich Langschwänze. Hier zeigten sich in der Vormast erhebliche Verhaltensstörungen. Manche Tiere hatten mit dem Schwanzbeißen angefangen, gingen aber bereits nach zwei Tagen in das Flankenbeißen über.
Vereinzelt bissen Tiere sich auch direkt in ihre Hinterteile. Allgemein nahmen die Schweine nur schleppend zu. Die angestrebten Tageszunahmen blieben aus. In diesem Betrieb sind wir ähnlich vorgegangen und haben zusätzlich noch das Rau- und Beschäftigungsfutter wie Heu auf Mykotoxine getestet. Alle Untersuchungen verliefen im Sande. Nur die klassische Aminosäurenuntersuchung zeigte wieder einmal erhebliche Mankos. Anstelle von 10 g beziehungsweise 1 Prozent Lysin enthielt das Futter nur 6,8 g oder 0,68 Prozent. Für die Vormastphase ist dies einfach zu wenig. Mit der Umstellung auf ein Endmastfutter mit entsprechendem Aminosäuremuster hörten die Verhaltensstörungen innerhalb weniger Tage auf.
Situation beim Schwanzbeißen rational meistern
Am Ende war es einfach interessant, zu beobachten, wie emotional Menschen auf die Verhaltensänderungen der Schweine reagieren. Es ist für ihn natürlich, den betroffenen Tieren so schnell wie möglich helfen zu wollen. Dass dies nicht so einfach ist und oft längere Zeit dauert, bis man das Schwanzbeißgeschehen wieder im Griff hat, ist allerdings für die Landwirte äußerst unbefriedigend. Für mich als Tierarzt ist es eine Herausforderung.
Bei meinen Besuchen weise ich darauf hin, dass der erhebliche Mehraufwand absolut richtig ist und dennoch nicht als Versagen angesehen werden darf. Oftmals mache ich bereits am Anfang solcher „Episoden“ darauf aufmerksam und sage den Landwirten: „Es steht eine sehr frustrierende Zeit vor euch. Bitte lasst uns im engen Kontakt bleiben, um das Rätsel gemeinsam zu lösen.“ Das ist deshalb so wichtig, weil wir Tierärzte damit die Erwartungen auf schnelle Besserung etwas dämpfen und trotzdem zeigen, dass es uns nicht egal ist. Am Ende dieser beiden Fälle stand jedoch eine rationale Lösung im Raum, die uns zeigte, dass wir alles objektiv und kritisch hinterfragen müssen und uns dabei auf unser wissenschaftliches Hintergrundwissen konzentrieren sollten.
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