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Kommentar

Ferkelkastration am Tag X angekommen

Ferkelkastration Isofluran-Narkosegerät
am Freitag, 01.01.2021 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Die betäubungslose Kastration von Ferkeln ist in Deutschland ab heute, dem 1. Januar 2021, endgültig verboten. Einige Landwirte wissen nach wie vor nicht, was sie tun sollen. Die perfekte Alternative gibt es nicht.

Tag X ist da. Das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln gehört seit heute, dem 1. Januar 2021, der Vergangenheit an. Und das in einer Zeit, in der Ferkelerzeuger aufgrund von

stärker gebeutelt sind denn je.

Landwirte fragen sich, ob die Ferkelerzeugung in Deutschland noch sinnvoll ist oder der Ausstieg nicht doch die bessere Alternative wäre. Die ersten Betriebe haben ihre Inhalationsnarkosegeräte laut der Herstellerfirmen bereits storniert oder schon zurückgegeben.

Die Kastration unter Inhalationsnarkose ist aber ein Weg, der Ferkelerzeugern auch künftig zur Verfügung steht. Außerdem können sie Jungeber mästen oder diese gegen den Ebergeruch impfen.

Schmerzlinderung ja, aber keine Schmerzausschaltung

Martina Hungerkamp

Zudem bleibt das Hoffen auf den vierten Weg, der Kastration unter Lokalanästhesie durch den Schweinehalter. Hört man sich allerdings die Aussagen von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner dazu an, so ist dieser Weg leider nicht realistisch. Und die neusten Studienergebnisse der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Einsatz von Lokalanästhetika zeigen zwar, dass die beiden Lokalanästhetika Lidocain und Mepivacain eine deutliche Schmerzwirkung haben. Aber im Deutschen Tierschutzgesetz steht eben die „wirksame Schmerzausschaltung“.

Und das wird gleichgesetzt mit einer völligen Schmerzfreiheit während des Eingriffs. Zunächst müsste also das Tierschutzgesetz geändert werden, damit die lokale Anästhesie durch den Landwirt in Deutschland möglicherweise doch noch erlaubt wird. Damit wäre man aber noch nicht am Ende. Denn die derzeit wirksamsten Mittel – Lidocain und Mepivacain – sind für das Schwein noch gar nicht zugelassen.

Ob Wissenschaftler über kurz oder lang ein Lokalanästhetika finden, das die völlige Schmerzausschaltung gewährleistet, ist völlig unklar. Ich denke zum Beispiel an das Schmerzgel Tri-Solfen. Der Hersteller hat das Mittel zumindest bei der in der Europäischen Union (EU) zuständigen Arzneimittelagentur (EMA) zur Zulassung angemeldet. Leider bedeutet das nicht auch automatisch die Zulassung in Deutschland. Außerdem müsste auch dieses Mittel wohl erst in Versuchen die Schmerzausschaltung beweisen.

Wirksame Schmerzausschaltung definieren

Was also tun? Die „wirksame Schmerzausschaltung“ müsste definiert werden. Warum ausgerechnet bei der Ferkelkastration völlige Schmerzfreiheit gewährleistet sein soll, bleibt ein Rätsel. Vor der Bundestagswahl wird das aber sicher nicht mehr passieren. Und was nach der Wahl kommt, weiß noch niemand.

Wenigstens sollte niemand den erreichten Stand verschlimmbessern! Wie haben mit der Jungebermast, der Immunkastration und der Kastration unter Inhalationsnarkose drei Wege. Mein Appell an alle: Lasst uns diese Wege!

Jungebermast: Leichte Tiere

Unverständlich für mich ist, dass es ein Tabuthema zu sein scheint, über geringere Schlachtgewichte nachzudenken. In Ländern wie in England oder Spanien funktioniert der Weg. Damit würde man auch dem derzeit überlasteten Markt entgegenkommen, die Preise könnten steigen.

Immunkastrate nicht abstrafen

Es gibt Absatzmärkte für geimpfte Eber. Und mehrere Studien und Feldversuche wie der der Schweinevermarktung Rheinland kommen zum Ergebnis, dass die Schlachtkörperqualität von Immunkastraten zwischen denen von weiblichen Mastschweinen und Börgen liegt. Sowohl die Indexpunktzahl nach den AutoFOM-III-Preismasken als auch die Auszahlung nach der VEZG-Referenzmaske (Magerfleischanteil) ist bei den Immunkastraten höher als bei den Jungebern und Börgen.

Eventuell müssen in den Schlachthöfen neue Strukturen geschaffen werden, aber das Fleisch ist nicht schlechter. Es kann nicht sein, dass die Schlachtbranche die tierschonendste und von den Tierschutzverbänden bevorzugte Methode mit schlechteren Abrechnungsmasken abstraft.

Dass es auch anders geht, beweisen Schlachthöfe wie Tummel. Die drei Großen – Westfleisch, Tönnies und Vion – akzeptieren zumindest die Impfung gegen Ebergeruch.

Improvac muss erlaubt bleiben

Die Tierschutzverbände halten an der Impfung gegen Ebergeruch fest. Trotzdem seit einiger Zeit auf EU- und Bundesebene diskutiert wird, ob Improvac im Ökolandbau zugelassen bleibt.

Zum Glück gibt es rational denkende Politiker/Innen wie die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast, die erkannt haben, dass es Ländersache ist und Improvac auch im Ökolandbau weiter erlauben.

Inhalationsnarkose zur Ferkelkastration ist Favorit bei Landwirten

Die Inhalatiosnarkose mit Isofluran ist der Favorit vieler Landwirte: Der Weg funktioniert offenbar. Hier gilt es, weiter zu optimieren. Es gibt aber Stimmen – auch von Landwirten –, die diesen Weg kritisch sehen. Leider nicht immer mit handfesten Argumenten, sondern mit dem unnötigen Schüren vieler Ängste.

Nicht richtig angewendet, kann Isofluran sicher gesundheitsgefährdend sein. Aber ehrlicherweise ist eine schlecht eingestellte Lüftung im Stall mit hohen Ammoniakwerten wohl die größere Gefahr für Mensch und Tier…

Ferkelkastration: Weiterforschen und offen bleiben

Es gibt derzeit keine perfekte Lösung. Deshalb ist es am allerwichtigsten: Weiterforschen! Weiterdiskutieren! Weiterdenken! Vielleicht gibt es ein Lokalanästhetika, an das bislang noch keiner gedacht hat, oder ein neuer Wirkstoff wird entdeckt.

Weiterdiskutieren: Politiker trauen sich nicht, das Tierschutzgesetz anzupacken. Wieso eigentlich nicht? Es muss doch einige geben – egal welcher Parteicouleur – die sich trauen, die sich für die deutschen Landwirte und damit für regional erzeugte Lebensmittel engagieren! Derzeit scheint es den meisten egal zu sein, dass es künftig immer weniger deutsche Schweine gibt und das Fleisch aus dem Ausland mit geringeren Standards kommt. In Dänemark funktioniert der vierte Weg, er könnte es auch in Deutschland.

Und lasst uns alles dafür vorbereiten, eine mögliche neue Lösung, die wir jetzt noch gar nicht kennen, möglichst schnell zuzulassen.

Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration: Wie wird es bei Ihnen weitergehen?

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