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Schweineschlachtung

Schweinestau: So reagieren die Landwirte

Schweine in einer vollbelegten Schweinebuch
am Donnerstag, 15.10.2020 - 10:00 (3 Kommentare)

Corona-Infektionen in Schlachthöfen ließen die Schlachtzahlen erheblich sinken. Die Folge: Schweine stauen sich in den Ställen. Viele Schweinehalter fühlen sich allein gelassen und in Not.

In den vergangen Monaten kam es immer wieder zu gehäuften Infektionen mit dem Corona-Virus in Schlachthöfen. Um die Mitarbeiter in den Werken zu schützen, wurden die Schlachtungen teilweise ganz unterbrochen oder deutlich reduziert. Zuletzt schränkte der Tönnies-Schlachthof in Sögel seine Arbeit massiv ein. Die Folge sind volle Schweineställe.

Immer mehr Landwirte sind von den eingeschränkten Arbeiten in der Schlachtbranche betroffen. Die Tiere können nicht abtransportiert werden und stauen sich in den Ställen. Die Mastställe sind mit den täglich weiterwachsenden Schweinen überbelegt, da der Platz pro Tier nicht mehr ausreicht - ein massives Tierschutzproblem. Da die Schlachtschweine nicht verkauft werden können, können auch keine Mastläufer nachgestallt werden. Sie stauen sich in der Ferkelaufzucht. Die Tierplätze werden jedoch für die abgesetzten Ferkel benötigt, die aus dem Abferkelstall ausgestallt werden müssen, damit den tragenden Sauen für die Abferkelung optimale Bedingungen geboten werden können.

ASP und Corona: existenzielle Krise für Schweinehalter

Für Schweinehalter wird diese Situation mehr und mehr unerträglich. Schweinehalterin Nadine Henke schreibt auf ihrem Blog: "Die Schweinehaltung erlebt derzeit eine der größten existenziellen Krisen: Corona und das Auftreten der afrikanischen Schweinepest (ASP) bei Wildschweinen haben uns schwer getroffen. Jedoch entpuppt sich die Covid-19-Pandemie als das noch größere Übel: Aufgrund von Corona-Infektionen in Schlacht- und Zerlegebetrieben wurden diese zum Teil geschlossen oder mussten ihre Schlachtkapazitäten massiv zurückfahren. Die Konsequenzen daraus – ein Schweinestau.

Die Situation bereitet vielen Schweinehaltern gerade schlaflose Nächte, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll. So geht es auch Norbert Hüsing aus dem Emsland. Er hat sich beim Landkreis selbst angezeigt wegen tierschutzrechtlicher Probleme in seinem Stall, denn er kann als Ferkelerzeuger seine Aufzuchtferkel nicht verkaufen.

"Es ist ein tierschutzrechtliches Problem. Und das ist auch mental für mich nicht mehr in Ordnung", sagte Hüsing dem NDR in Niedersachsen. Die Verwaltung sei bei seiner Selbstanzeige keine Hilfe gewesen. "Der Landkreis hat das Gespräch angenommen und mich gebeten, in den nächsten Tagen zurückzurufen. Die konnten mir nichts dazu sagen", erklärt der Landwirt.

Schweinestau: Landwirte sind verzweifelt

Grafik von einem weißen Schweineumriss mit Ringelschwanz auf orangenem Untergrund

Auch in unserer agrarheute-Facebookgruppe für Schweinehalter wird der Schweinestau diskutiert. "Wie viele zusätzliche Schlachttage sind in Deutschland unter diesen Corona-Umständen nötig, um den aufgestauten Überhang an Schlachschweinen wieder  abzubauen?", fragt ein User. Die ASP sei ein Marktproblem. Doch Corona sein ein Absatzproblem und das sei noch viel größer.

Eine andere Userin reagiert darauf: "Leider ist es so, die Schlinge wird immer enger, der Platz immer weniger, die Verzweiflung immer größer... Auswege nicht in Sicht. Leider spiegelt sich diese Verzweiflung auch immer mehr in den Landwirtsfamilien privat wider."

Ein anderer Schweinehalter zeigt in der Facebookgruppe Unverständnis dafür, "dass weiterhin Händler nach Dänemark fahren und dort Ferkel abholen. Bis hier der Markt platzt." Er gibt eine Anregung für deutsche Schweinehalter: In seinen Augen sollten sich "reine Zukaufsmäster einen festen Lieferbetrieb in der Nähe suchen und einen festen Vermarkter, noch besser direkt an den Schlachter verkaufen. Händler erbringen dann die Transportleistungen. Spekulationen sind raus, Schweine sind fest eingeplant (Einstallen und Schlachten), kurze Wege und Absprachen. Wenig Kopfschmerzen", fasst er zusammen. 

Otte-Kinast: Tierhalter sollen mit Weitblick handeln

Ministerin-Barbara-Otte-Kinast

Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin, Barbara Otte-Kinast, appellierte an die Tierhalterinnen und Tierhalter, mit Weitblick zu handeln. Die derzeitige Lage stelle alle vor Herausforderungen. "Passen Sie ihre jeweilige Betriebsweise vorsorglich an, richten Sie ihren Betrieb verantwortungsbewusst so aus, dass es auch bei weniger Schlachtkapazitäten nicht zu Tierschutzverstößen kommt. Die Schweinehalterinnen und Schweinehalter müssen jetzt sofort ihre Produktion auf den – vermutlich länger anhaltenden – Engpass bei der Schlachtung, Zerlegung und Vermarktung anpassen."

Von der emotionalen Rede der niedersächsischen Landwirtschaftsministerin am 08.10.2020 im niedersächsischen im Landtag zur aktuellen Lage, fühlt sich Schweinehalterin Nadine Henke verstanden. "Sie bringt unsere Not sehr gut zum Ausdruck", schreibt sie auf ihrem Blog. 

Keine einfache Lösung für Schweinestau in Sicht

"Nur was wir jetzt nicht brauchen, sind Menschen und Organisationen, die sich mit unserer Krise wichtig tun wollen. Wir brauchen keine Schlauschnacker, die nun meinen, es sei ja alles vorhersehbar gewesen. Das war es eben nicht. Ebenso blödsinnig ist es, nun einfache Lösungen zu propagieren – es gibt schlichtweg keine einfachen Lösungen. Diese Profilierung auf dem Rücken von uns Schweinehaltern nervt, ist widerlich und absolut überflüssig", fasst Nadine Henke zusammen. 

ISN: Derzeit rund 400.000 Schweine in der Warteschlange

Eine einfache Lösung wird es für den Schweinestau nicht geben. Nach Schätzungen der ISN stehen derzeit rund 400.000 Schweine in Deutschland in der Warteschlange wöchentlich kommen 70.000 bis 90.000 Schweine dazu. Die ISN fordert, eingeschränkte Schlachthöfe schnell wieder mehr schlachten zu lassen. Zudem sei für eine Übergangszeit die Flexibilisierung der Arbeitszeiten bei Schlachthofmitarbeitern wichtig. Auch müssten Leitfäden und Notfallpläne für die Behörden her.

Ampelsystem soll Infektionsgeschehen in Schlachthöfen abbilden

Barbara Otte-Kinast gab dazu bekannt, dass ihr Haus mit dem Gesundheitsministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die einen Leitfaden mit einem sogenannten „Ampelystem“ für Schlacht- und Zerlegebetriebe erarbeiten soll. 

Diese Arbeitsgruppe soll eine landesweite Handreichung beziehungsweise Hilfestellung für die zuständigen Gesundheitsämter erstellen, um bei der Entscheidung zu helfen ob:

  • der Betrieb bei einem Infektionsgeschehen in einem Schlachthof aufrechterhalten werden kann,
  • der Betrieb unter Auflagen mit verminderter Kapazität allenfalls eingeschränkt noch möglich ist oder
  • der Betrieb komplett runtergefahren werden muss.

An oberster Stelle stehe dabei, die Gesundheit der Mitarbeiter zu schützen.

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