Der Fall, über den Ende Februar 2018 in Naumburg verhandelt wurde, ist mehr als viereinhalb Jahre alt. Im Sommer 2013 waren drei Mitglieder der Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa) nachts zweimal in eine Schweinezuchtanlage in Sandbeiendorf nördlich von Magdeburg eingedrungen. Auslöser für diese Aktion seien Hinweise Dritter auf Tierschutzverstöße gewesen.
Das Bildmaterial, das laut Ariwa bei diesen Gelegenheiten entstanden war, wurde den zuständigen Behörden vorgelegt und diversen Medien zugespielt.
Der Anlagenbetreiber hatte daraufhin Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Immerhin ist unstrittig, dass die nächtlichen Besucher bei beiden Gelegenheiten den Sicherheitszaun der Anlage überstiegen.
Selbstjustiz von Tierrechtlern gerechtfertigt?
Nach dem Amtsgericht Haldensleben und dem Landgericht Magdeburg hat allerdings nun in letzter Instanz auch das Oberlandesgericht Naumburg die Stalleinsteiger freigesprochen.
Die drei Strafkammern bestätigten zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs, sahen aber dennoch keinen hinreichenden Grund für eine Verurteilung der Ariwa-Aktivisten. Die Verletzung des Hausrechts sei durch einen Notstand gerechtfertigt gewesen.
Konkreter hatte das laut Legal Tribune Online im vergangenen Oktober bereits der Vorsitzende Richter im Landgericht Magdeburg, Ulf Majstrak, formuliert: Bürger müssten eben eingreifen, wenn staatliche Organe ihre Arbeit nicht so machten, wie es sein soll.
Handlungsbedarf liegt bei den Behörden
Zumindest letzteres klingt aus dem Munde eines Juristen befremdlich. Bedingt sanktionierte Selbstjustiz – wie weit dürfte die nach Ansicht des Richters gehen? Wer entscheidet, ob ein Notstand besteht und ob die Behörden ordnungsgemäß arbeiten? Und wer beurteilt, welcher Zweck welche Mittel heiligt?
Damit wir uns richtig verstehen: Tierschutzverstöße sind inakzeptabel und müssen geahndet werden. Und wenn die zuständigen Behörden mit den Kontrollen nicht hinterherkommen, besteht dringender Handlungsbedarf und zwar in allererster Linie bei der Personalausstattung der Ämter. Eine solche Regulierung ist natürlich nicht Aufgabe der Gerichte, aber stattdessen den Bürger zum „Hilfssheriff“ zu machen, kann auch keine Option sein – übrigens auch nicht im Sinne der Tierschützer.
Notstand bezieht sich nur auf Personen
Denn wie wollen Richter künftig entscheiden, wenn Stalleinsteiger auf frischer Tat ertappt werden, an ihrem Mängelverdacht aber nichts dran ist? Im oben genannten Falle wurden bei Tiefenkontrollen wenigstens einige der Vorwürfe bestätigt, so dass die drei Gerichtsinstanzen sich auf §34 Strafgesetzbuch – "Rechtfertigender Notstand" – beriefen.
Genau das kritisieren allerdings viele Juristen in Fachforen und auf Nachfrage. Rechtsanwalt Dr. Walter Scheuerl betonte gegenüber der agrarzeitung, die Anwendung des Notstands-Paragraphen sei „rechtssystematisch falsch“. Denn dieser greife nur, wenn eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut des Täters oder eines anderen nicht anders abgewendet werden könne. Tiere sind nach unserem Strafgesetz aber keine „anderen“, also keine Personen, sondern gelten als "den Sachen gleichgestellte Wesen".
Vermutete Behördenuntätigkeit als Grundlage
Doch auch ohne diese grundsätzliche Rechtsfrage ist das Urteil fragwürdig.
Die Angeklagten hatten argumentiert, nur mit Bildern oder Filmen seien Behörden überhaupt zu einem Eingreifen zu bewegen. Auch das scheint im konkreten Falle nicht hinterfragt worden zu sein. Die Fachbereichsleiterin für Bildung, Migration, Ordnung und Sicherheit im Landkreis Börde, Iris Herzig, erklärte auf Anfrage von agrarheute, bei ihrer Behörde sei im Vorfeld keine Anzeige gegen den betroffenen Betrieb eingegangen.
Reicht also auch hier die Annahme eines Bürgers, Ämter blieben ohne „Bildbeweise“ untätig, um einen Hausfriedensbruch zu rechtfertigen?
Andere Regeln, wenn es gegen Landwirte geht?
Was würde das für ähnlich gelagerte Fälle bedeuten? Darf ich, weil ich vermute, mein Nachbar quält seine Katze, nachts in dessen Abwesenheit über die Balkonbrüstung in seine Wohnung eindringen, Fotos machen und versteckte Kameras installieren? Und die Bilder dann auch noch an Medien weiterreichen? Wohl kaum.
Selbst bei einem Verdacht auf Kindesmisshandlung würde ein Gericht mit Sicherheit diese Art von Selbstjustiz und Verletzung von Persönlichkeitsrechten ahnden. Das Mittel der Wahl ist immer eine Anzeige.
Doch bei Landwirten und deren Betrieben scheinen sogar Richter Ausnahmen vom Gesetz für akzeptabel zu halten.
Tierrechtler rüsten auf
Das Urteil von Naumburg ist endgültig, die Instanzen sind ausgeschöpft. Und die Reaktionen diverser Tierschutzverbände lassen ahnen, dass die Aktivisten den Freispruch ihrer Kollegen als Freibrief verstehen.
Mehrere Organisationen kündigten ganz offen die nächtliche Installation von versteckten Kameras in zahlreichen Schweineställen an. Und das Deutsche Tierschutzbüro suchte bereits im September 2017 neue Mitarbeiter für „aktive Recherchearbeit in Mast- und Zuchttieranlagen“ und das „Erstellen von Bildmaterial (Video, Foto)“, die unbedingt die Bereitschaft für die Arbeit in „gesetzlichen Grauzonen“ mitbringen sollten.
GroKo plant Gesetzesverschärfung
Die neue Regierung hat sich im Entwurf des Koalitionsvertrages eine künftige „effektive Ahndung“ von Einbrüchen in Tierhaltungsanlagen auf die Fahnen geschrieben. Denkbar wäre eine Verschärfung des Tatbestandes von einer Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat. Doch auch das bliebe ein zahnloser Papiertiger, wenn Gerichte Stalleinsteiger einfach freisprechen. Ja möglicherweise wäre die Hemmschwelle der Richter, solche Aktionen zu bestrafen, dann sogar noch höher.
Und die vielen Fälle, in denen Tierrechtler keine „rechtfertigenden“ Beweise für Verstöße finden und ihre nächtlichen Aktionen, bei denen Tiere nicht selten in Panik verletzt oder einer Seuchengefahr ausgesetzt werden, fein säuberlich geheim halten, bleiben ohnehin weiter ungeahndet.
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