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Studie

Tierärzte: „Die deutsche Nutztierhaltung wird bald aussterben“

Tierarzt untersucht eine Kuh im Stall
am Dienstag, 23.06.2020 - 05:00 (Jetzt kommentieren)

Laut einer Studie der Vetmeduni in Wien sehen Nutztierärzte ihre Zukunft ziemlich düster. Sie sprechen von ihrer Arbeit als etwas, das in Deutschland nicht mehr gewollt ist.

Christian Dürnberger

Christian Dürnberger, Philosoph am Messerli Forschungsinstitut, untersuchte, wie deutsche Nutztierärzte die Zukunft ihres Berufs sehen. Dabei stellte er fest, dass die meisten Nutztierärzte mit der Wahl ihres Berufes zufrieden sind.

Als Gründe hierfür nennen sie die Vielfältigkeit der Arbeit selbst. Die Tierärzte mögen den Austausch mit den Landwirten, den Umgang mit den Tieren und die Möglichkeit, diesen helfen zu können. Geschätzt wird auch die wirtschaftliche Sicherheit des Jobs und die Bedeutsamkeit der Arbeit, da die Produktion von Lebensmitteln als sinnvolle Tätigkeit empfunden wird.

"Die Welt befindet sich im Niedergang"

Doch auch bei jenen Tierärzten, die mit ihrem Job zufrieden sind, zeigt sich eine düstere Stimmung, was die Zukunft der Nutztierhaltung angeht. Manche Nutztierärzte sehen sich als Teil einer Welt, die sich im Niedergang befindet, so der Forscher.

Sie sehen ihre Arbeit als ein Auslaufmodell, als etwas, das in Deutschland nicht mehr gewollt ist und das eventuell ganz aus diesem Land verschwinden wird. Die Antworten erzählen von Misstrauen und Anprangern. Die Tierärzte fühlen sich von der Gesellschaft auch im Stich gelassen.

Dies zeigt sich unter anderem in der hohen Zustimmungsrate zur Aussage, dass die Arbeit als Nutztierarzt mit dem Beruf eines Soldaten verglichen werden kann: Man macht einen Job, der für die Gesellschaft wichtig ist, aber von dem sie lieber keine Bilder sehen will. 

Zitate der Tierärzte aus der Umfrage

Um sich ein Bild von der „düsteren Stimmung“ der befragten Tierärzte zu machen, hier ein paar Zitate aus der Studie:

  • „Der Druck aus der Politik und bestimmten Kreisen der Gesellschaft auf die Landwirtschaft und somit auf die Tierärzte wird in Zukunft noch steigen, das Verhältnis ist bereits heute von Misstrauen und Sprachlosigkeit geprägt.“
  • „Es werden zwar Nutztierpraktiker gesucht, doch die Tierproduktion ist in Deutschland nicht mehr erwünscht und wird sich zwangsläufig ins Ausland verlagern. Die bäuerliche Landwirtschaft wird hier zu Lande sterben.“
  • „Es ist zwar ein wunderbarer Beruf, aber gesellschaftlicher Anspruch, Ansehen, Veränderungen in der Tierhaltung, überbordende Bürokratie führen zu ständiger Frustration, die ohne intakte Familie oder Freundeskreis durchaus im Suizid endet.“
  • „Ich gehe davon aus, dass aufgrund der gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft diese in den nächsten 25 Jahren aus den mitteleuropäischen Ländern weitestgehend verschwinden wird. Die pauschale Schuldzuweisung der jüngeren Menschen, perpetuiert durch die quotenorientierten Medien, zermürben die Bauern. Das allgegenwärtige ‚Bauern-Bashing‘ trägt in meinem Umfeld dazu bei, dass die Höfe aussterben.“
  • „Die Nutztierhaltung steht (…) momentan am Scheideweg, auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein oder für den lokalen Markt nachhaltig zu produzieren. Diese Richtung wird allerdings politisch nicht unterstützt, sodass die Nutztierhaltung in Deutschland auf die Dauer eine sehr untergeordnete Rolle spielen wird.“

Tierärzte fordern mehr betriebswirtschaftliches Wissen

Tierärztin untersuch ein Kalb

Die Studie von Christian Dürnberger gibt Hinweise darauf, wie aus Sicht der Tierärzte die Aus- und Fortbildung verbessert werden könnte. Gefordert werden mehr betriebswirtschaftliches Wissen und mehr Wissenstransfer rund um die Bestandsbetreuung.

Das heißt, die Nutztierärzte wollen Unternehmer und Gesundheitsmanager sein, die das große Ganze des Betriebs im Blick haben. Da nicht alles, was in diesem Berufsfeld entscheidend ist, an der Universität gelehrt werden kann, fordern die Teilnehmenden auch eine praxisnähere Vorbereitung.

Tierärzte: "Den Bauern fehlt das Geld"

Die Nutztierärzte fordern außerdem eine Veränderung des System:

  • In Bezug auf die Tierhaltung wünschen sie sich mehr finanziellen Spielraum für die Landwirtschaft. Den Bäuerinnen und Bauern fehlt schlicht das Geld. Oft würde man die Tiere gerne anders behandeln, aber man wird durch äußere Hindernisse – vor allem durch die geringen finanziellen Mittel der Landwirte – daran gehindert. Die Tierärzte sehen hier vor allem die Verbraucher, den Handel und die Politik in der Pflicht.
  • Auch fordern die Tierärzte eine Veränderung der gesellschaftspolitischen Debatte über die Nutztierhaltung. Aus ihrer Sicht existiert wenig gesellschaftliches Wissen über die Realitäten der Tierhaltung, der Kontakt zur Lebensmittelproduktion ging über die Jahrzehnte verloren. Darüber hinaus werde die gesellschaftliche Debatte von anderen Akteuren geprägt, beispielsweise von NGOs oder Politikerinnen und Politikern.
  • Zudem fordern die Teilnehmer der Studie ein kritisches Hinterfragen des Leistungsgedankens: Die Zucht fokussiert auf mehr und mehr Output. Diese permanente Optimierung wird von manchen Tierärzten als Sackgasse empfunden. Die Leistungsgrenze der Tiere sei überschritten. Es brauche ein grundsätzliches Umdenken.

Hintergrund zur Studie

Die Umfrage, die im Sommer 2019 durchgeführt wurde, richtete sich an Tierärztinnen und Tierärzte, die im Bereich der Nutztierhaltung in Deutschland tätig sind.

Insgesamt nahmen 123 Tierärztinnen und Tierärzte an der Studie teil. Die Studie ist nicht repräsentativ. Sie fokussierte auf offene Fragestellungen. Die Studie finden Sie auf Englisch hier.

Mit Material von Christian Dürnberger

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