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Zahlen verendeter Nutztiere: Schockierend oder bösartig?

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am Montag, 13.06.2022 - 10:30 (1 Kommentar)

Grüne: 20 Prozent der Kühe und Schweine verenden vor der Schlachtung. Der Bauernverband spricht von willkürlich kombinierten Statistiken.

Von „Schockzahlen“ war dieser Tage in den Zeitungen zu lesen, die eine Anfrage der Landtags-Grünen zutage gebracht hat: „20 Prozent der Kühe und Schweine verenden schon vor der Schlachtung.“ Basis für die Nachricht waren Daten des Umweltministeriums und Schlussfolgerungen des grünen Tierwohl-Sprechers Paul Knoblach.

Der Bayerische Bauernverband spricht von „bösartiger Irreführung“ und wirft dem Umweltministerium vor, falsche Zahlen herausgegeben zu haben.

Grüne: Die Zahlen sind erschreckend hoch

Das Ministerium hat in seiner Antwort auf die Anfrage aufgelistet, wie viele tote Nutztiere im Jahr 2019 in den bayerischen Tierkörperbeseitigungsanstalten (TBA) angekommen sind. Paul Knoblach hat die Zahlen addiert und zu den Schlachtzahlen ins Verhältnis gesetzt. So kam es zur Schlagzeile: Laut Knoblach wurden in Bayern 2019 insgesamt 4,7 Millionen Schweine und 955 000 Rinder geschlachtet. Aber etwa eine Million Schweine und circa 220 000 Rinder kommen gar nicht erst in den Schlachthof, sondern in die TBA.

„Jedes fünfte Schwein und jedes fünfte Rind in den bayerischen Betrieben ist somit vor der Schlachtung verendet“, erklärte Knoblach. Sein Resümee: Die Zahlen der verendeten Tiere sind erschreckend hoch. An der TBA angelieferte Tiere seien „durch Krankheit, Schwäche oder Unfall zu Tode gekommen oder wurden aus diesen Gründen notgetötet“. Bei vielen Tieren müsse davon ausgegangen werden, „dass sie vor der Entsorgung gelitten haben“, meint Knoblach.

BBV: Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen

Während sich für den Grünen-Politiker durch die Anfrage zeigt, dass die derzeitigen Haltungsbedingungen die Ursache für die hohen Zahlen sind, spricht der BBV von „willkürlich kombinierten Statistiken ohne Fachwissen“. Die Zahlen seien reißerisch und völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Die Liste an Vorwürfen ist lang.

Einen ausführlichen Kommentar von Georg Wimmer zum Thema finden Sie hier.

Eine weiterreichende Begründung ist auf den BBV-Seiten zu finden.

Obwohl „verendete Tiere einen wirtschaftlichen Verlust für die Landwirte bedeuten“, zeigt die Anfrage laut Knoblach die Grenzen des derzeitigen Systems der Tierhaltung. „Wir müssen von den hohen Falltierzahlen runter. Eine digitale und verpflichtende Tiergesundheitsdatenbank könnte helfen, Höfe zu identifizieren, die besondere Probleme haben“, sagte der Grünen-Politiker. Die TBAs seien quasi der Flaschenhals, wenn es um Tierschutzprobleme geht. Hier würden sie besonders gut sichtbar. „Es braucht mehr tierärztliches Personal, eine systematische Rückverfolgung von den Tierkörperbeseitigungsanlagen an die Höfe und auf den Höfen bessere Beratung, um die Probleme dort zu lösen.“

Rechtsgrundlage für Kontrollen fehlt

Laut dem bayerischen Umweltministerium fehlt für eine systematische Überwachung des Tierschutzes in sogenannten „Verarbeitungsbetrieben Tierischer Nebenprodukte“ aktuell allerdings die Rechtsgrundlage. Die müsste der Bund schaffen – so wie es der Bundesrat schon in der vergangenen Legislaturperiode wollte. Den entsprechenden Gesetzentwurf hat der Bundestag im vergangenen Jahr aber nicht mehr behandelt, er müsste nun neu eingebracht werden.

Auch tot geborene Tiere werden entsorgt

Nicht eingegangen ist Knoblach auf den Anteil von Totgeburten bei Schweinen und Rindern, die in der TBA landen. Auch das kritisiert der BBV: Schließlich hätte der Anteil an Totgeburten nichts mit dem Haltungssystem oder Tierwohl zu tun. Nach Auskunft des Landwirtschaftsministeriums und aktuellen Berichten der Landesanstalt für Landwirtschaft kommen 7,5 % der geborenen Ferkel und knapp vier Prozent der Kälber tot zur Welt.

Das Landwirtschaftsministerium verweist zudem auf Zahlen des LKV, das im Rahmen der Milchleistungsprüfung Daten von etwa 80 % der bayerischen Milchkühe ermittelt. In die Berechnung des LKV fließen auch Verwerfungen, Totgeburten und Verendung vor der Kennzeichnung und Registrierung in der HIT-Datenbank mit ein. Laut dem Jahresbericht 2021 liegen die Verluste bei männlichen Kälbern bei 9,5 % und bei weiblichen bei 5,8 % – auf Basis von gut einer Million Kalbungen. Die Verluste in der Schweinemast lagen laut LKV-Zahlen von 2012 bei 2 %, in der Ferkelerzeugung bei 12 % und in der Rindermast bei 1,2 %.

Auch wenn die Zahlen zu Knoblachs Anfrage vom Umweltministerium kommen, sieht Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) Handlungsbedarf: „Jedes Schwein, Rind oder Huhn, das verendet, ist eins zu viel“, sagte sie zum Wochenblatt. „Unser Ziel ist es, durch Beratung zur Zuchtauswahl, zur Optimierung der Haltungsverhältnisse und zur Versorgung der Tiere die Sterblichkeit in den Rinder-, Schweine- und Geflügelställen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.“ Es gebe aber auch viele Faktoren, die vom Tierhalter nicht beeinflusst werden könnten. Selbst bei höchstmöglicher Sorgfalt könne es zu Verlustfällen kommen.

Der BBV kritisiert mehrere Punkte in der Diskussion

  • Die Landtags-Grünen haben die Falltierzahlen mit den jährlichen Schlachtungen verglichen. Aus BBV-Sicht ist das „schwammig“, da in Bayern nicht nur bayerische Tiere geschlachtet werden, sondern auch Nutztiere aus anderen Bundesländern – und umgekehrt.
  • Genaue Statistiken zu tot geborenen Nutztieren gibt es laut BBV nicht. Daher sei es nicht möglich, diesen Prozentsatz von den 20 % einfach abzuziehen.
  • Laut BBV erfassen die Tierkörperbeseitigungsanstalten keine Tierstückzahlen, abgerechnet wird nach Gewicht. In seiner Antwort hat das Umweltministerium aber Stückzahlen geliefert. Für den BBV werden damit „Fakten“ präsentiert, die keine sind. Das Umweltministerium widerspricht: Die Zahlen kommen von der Bayerischen Tierseuchenkasse, erklärte ein Sprecher. Nach deren Auskunft wird bei Rindern und Schweinen die Zahl der Tierkörper erfasst, anders als bei Ferkeln: Hier wird die Tierzahl aus dem Gewicht der Anlieferungstonne anhand von Regelgewichten ermittelt, die „auf langjährigen Erfahrungswerten basieren“, so der Sprecher.

„Statt die Zahlen anzuzweifeln, sollten wir uns auf das Wichtige konzentrieren: Die Ursachen für diese wirklich bedenklichen Zahlen“, meint Knoblach im Hinblick auf die BBV-Kritik. „Wir brauchen mehr Forschung, um herauszufinden, mit welchen Befunden die Tiere an den TBAs ankommen beziehungsweise warum die Tiere verendet sind.“ Zudem brauche es dringend tiergerechtere Haltungsbedingungen.

Kommentar

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